Ein sehr aufwühlendes, gleichzeitig aber in akademischer Diktion sehr sachlich geschriebenes Werk, das mit einer gewissen Theorie-lastigkeit sorgfältig annotiert ist. So machen die Fußnoten gut ein Viertel des Buches aus. Es geht um nichts anderes als um die sogenannte „Thukydides-Falle“, in der ein Hegemon sich von einer aufsteigenden Macht bedroht fühlt und präemptiv Krieg führt oder ihn provoziert, solange er noch überlegen ist. In der Antike fühlte sich Sparta durch Athen in seinem Status bedroht, 1914 England durch das Deutsche Reich, 1941 die USA im Pazifik durch Japan, und nunmehr die USA durch China als einzige Bedrohung ihres Status als Supermacht. So sieht Autor Peter Rudolf, der für die Stiftung Wissenschaft und Politik zur amerikanischen Außen- und Militärpolitik forscht (und vorrangig amerikanische Quellen verwendet), ausgehend von der Rivalität im Indopazifik eine langanhaltende höchst riskante weltweite Konfrontation ähnlich des Ost-West-Konflikts bis 1989 voraus, auch auf Kosten der Europäer, die bislang nur ohnmächtige Zuschauer sind. Diesmal aber ohne eine funktionierende Krisenkommunikation, ohne machbare Abrüstungsszenarien, und ohne einen eindeutigen technologischen Vorsprung der USA.
Aber der Reihe nach. Nach dem kommunistischen Sieg 1949 setzten die USA zunächst weiter auf ihren Verbündeten Taiwan, den Nixon und Kissinger im Jahr 1972 jedoch verrieten, um die „China-Karte“ mit einigem Erfolg und einer diskreten militärischen Zusammenarbeit gegen die Sowjetunion zu spielen. Deng Xiaopings Wirtschaftsreformen wurden ab den späten siebziger Jahren auch noch nach dem Tiananmen-Massaker von 1989 unterstützt, und mit dem chinesischen WTO-Beitritt von 2001 wurde gehofft, China werde die westlichen Rechtsnormen mit wachsendem Wohlstand übernehmen. Die chinesische KP hatte jedoch spätestens seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 das US-Engagement als Falle wahrgenommen, sie durch die Eingliederung in das kapitalistische Weltsystem ihrer Macht zu berauben.
Mit dem Ausbleiben einer Liberalisierung in China und wachsenden Handelsbilanzdefiziten erlosch der naive Optimismus auf US-Seite. George W. Bush und Barack Obama fuhren zwischen 2001 und 2017 deshalb eine zweigleisige Politik von Kooperation und Risikoabsicherung. Mittlerweile intensivierte China unter Xi Jinping seine historischen Opfernarrative, begründete damit seine wachsenden Territorial- und Hegemonialansprüche über Teile Süd- und Ostasiens als Pax Sinica und suchte mit den Kreditangeboten seiner Seidenstraßen-Initiative die Kontrolle über die Verkehrswege nach dem Nahen Osten und Europa und über Rohstoff- und Energiequellen in Zentralasien, Afrika und später auch Lateinamerika zu erreichen. China exportiert dabei keine Ideologie, sondern ein autoritäres Entwicklungsmodell, exportiert Waffen und finanziert große Infrastrukturprojekte (während der Westen nur noch in Bildung, Gesundheit und Moralpredigten investiert), stellt dabei keine unerwünschten Fragen nach Menschenrechten, Demokratie und korruptionsfreiem Regieren, und gewinnt damit das Rennen um weltweiten Einfluß.
Donald Trump definierte 2020 China als Bedrohung des US-amerikanischen Way of Life. Es habe die amerikanische Industrie vernichtet, die Technologiekonzerne unterwandert und die Welt mit Corona verseucht. Er verhängte massive Strafzölle und ließ Chinas führenden Hightech-Ausrüster Huawai von allen Halbleiter-Lieferungen und Wartungsdienstleistungen abschneiden. Joe Biden setzt seither etwas höflicher die gleiche Chinapolitik fort, die auch von beiden Parteien getragen wird. Ziel dieser und anderer Sanktionen ist es, die amerikanische technologische Überlegenheit zu bewahren. China reagierte darauf mit dem Programm der „Doppelzirkulation“ von angestrebter Technologieautonomie und der wachsenden Unabhängigkeit von Exportmärkten. Entsprechend sind der Außenhandel und die Investitionen in den USA und der EU nunmehr rückläufig. Mit jener „geoökonomischen Fragmentierung“ kündigt sich das Ende des „Washingtoner Konsensus“ des noch relativ freien Welthandels an.
Militärisch geht es um die Kontrolle der maritimen Zone um China, wo sich beide Seiten jeweils bösartige Absichten unterstellen. Sie behaupten in ihren nuklearen Kriegsszenarien von der anderen Seite Präventivschlagabsichten, die bei dem Fehlen effektiver Kommunikationskanäle im Krisenfall bei Fehlalarmen schnell fatal eskalieren könnten. Eine Rüstungskontrolle ist unwahrscheinlich, da die USA keine Parität und keine Grenzen für ihre Raketenabwehr akzeptieren und Rüstungskontrollverträge schon mit Rußland gebrochen haben. China sucht die Kontrolle des Südchinesischen Meers als Atom-U-Boot Basis und Taiwan militärisch und politisch mit Luft- und Seeblockade-Drohungen einzuschüchtern, auf die die USA ihr Verteidigungsversprechen in „strategische Ambivalenz“ hüllen.
Gleichzeitig organisieren die USA ihre selektiven Bündnisse im Pazifik und in Asien mit oft sehr eigenwilligen Partnern von Japan und Korea über die Philippinen bis Australien, von Indien über Vietnam, Singapur bis nach Papua-Neuguinea und Mikronesien. Allerdings hat der Wirtschaftsnationalist Trump die ökonomische Grundlage eines solchen Groß-Bündnisses – ebenso wie über den Atlantik – durch die Absage eines transpazifischen Freihandelsabkommens zur Freude Pekings zerstört.
Die wachsende Konfrontation zwingt die EU und Deutschland, die mangels Masse und Macht mit beiden weder einen Statuskonflikt noch eine Einflußkonkurrenz haben, sich zwischen Peking und Washington zu entscheiden. Dafür werden allein die schon im Fall von Nordstream 2 angewendeten US-amerikanischen Sekundärsanktionen sorgen. Firmen werden zwischen ihrem US- und ihrem China-Geschäft zu wählen haben. Die deutsche Industrie wird es dabei am härtesten treffen, und die EU kann sich von ihrer E-Mobilität und Energiewende angesichts der Abhängigkeit von chinesischen Grundstoffen für Batterien, Solarpanele und Windräder ebenfalls verabschieden. Leere Slogans wie „De-Risking“ (von der Leyen) werden dann nicht mehr helfen. Merkwürdigerweise findet Rußland als neue chinesische Rohstoffkolonie in diesem ansonsten sehr interessanten Band keine Erwähnung.
Peter Rudolf: Konfrontationskurs. Der amerikanisch-chinesische Weltkonflikt. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2024, broschiert, 250 Seiten, 22 Euro