© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/24 / 22. März 2024

Der Flaneur
Auf der Schäl Sick
Holger Ziehm

Ich sitze auf einer kleinen Mauer auf der „Schäl Sick“ des Rheins und verspeise meine Brotzeit, neben mir steht eine Flasche Wasser. Es ist 20 Uhr in Köln-Deutz. Deutsche Großstädte befinden sich längst jenseits meiner Komfortzone. Mich verschlägt es daher selten dorthin, aber ich warte hier auf jemanden. Es ist in Ordnung, und ich beobachte das Treiben um mich herum. 

Nun wird es laut. Zwei kräftige Männer mit Islamistenbärten beschimpfen anscheinend biodeutsche Passanten. Sie machen sich einen Spaß, aber es sieht so aus, als ob niemand körperlich zu Schaden kommen wird, daher kann ich zum Glück erstmal sitzen bleiben. Ich tippe auf Araber: Sie halten Fußgänger an und fragen diese nach ihrem Wahlverhalten. Etwas derartiges habe ich noch nie erlebt.

Was die beiden über die Grünen sagen, dürfte Herrn Haldenwang zum Toben bringen.

Eine etwa 40 Jahre alte, blonde Frau gibt anscheinend die falsche Antwort. Natürlich wähle sie die Grünen, hat sie wohl gesagt. Jetzt wird sie mit einer höhnischen, lautstarken Schimpfkanonade überzogen. Falls sie zur „Nie wieder ist jetzt“-Fraktion gehört, kommt sehr wenig von ihr. Man kann kaum etwas von der Frau hören und wenn doch, wird es von den beiden Arabern sofort niedergeschrien. 

„AfD solle sie gefälligst wählen“, höre ich. Was die beiden über die Grünen sagen, dürfte Herrn Haldenwang zum Toben bringen. Wenn es nicht alles so traurig wäre, könnte ich mich kaputtlachen. Nun kommt die Frau an mir vorbeigetaumelt, ihre Miene kann man am ehesten mit „fassungslos“ beschreiben. Sie tut mir schon fast leid. Jedenfalls sieht sie fix und fertig aus. Die beiden Männer haben jedenfalls Spaß. 

Nun kommen drei relativ selbstbewußte, sportlich aussehende deutsche junge Burschen vorbei. So etwas gibt es also auch noch. Ich kann mithören, daß sie alle drei die AfD wählen werden. Nun sind die Araber begeistert, die drei werden zur Belohnung als Brüder und Freunde bezeichnet. Noch von weitem rufen sie sich Scherzworte zu und winken gegenseitig. 

Jetzt kommen die Araber in meine Nähe, ich esse ruhig weiter. Warum auch immer, aber ich werde tatsächlich von ihrer Befragung ausgenommen. Dafür verschwinden sie jetzt gegenüber in einer Grillstube, wo die Angestellten alle die gleichen Bärte haben.