© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/24 / 22. März 2024

Was bringt die Comic-Zukunft?
Mit Akira Toriyama ist der Großmeister des Manga verstorben, doch längst gibt es neue Trends
Tobias Albert

Japan trauert gemeinsam mit einer globalen Fangemeinde um einen der einflußreichsten Künstler der Popkultur: Am 1. März verstarb überraschend Manga-Zeichner Akira Toriyama im Alter von nur 68 Jahren, doch sein künstlerischer Einfluß wird lange fortleben.

Maßgeblich von Disney-Filmen wie „101 Dalmatiner“ und der japanischen Comic- bzw. Manga-Reihe „Astro Boy“ inspiriert, wandte sich Toriyama schon als Schüler dem Zeichnen zu. Nach einer Ausbildung als Designer und Arbeit in einer Werbeagentur war sein künstlerischer Durchbruch die Reihe „Dr. Slump“, die ihm 1981 den Shogakukan-Manga-Preis einbrachte. Die Mischung aus Humor, Abenteuer und Superkräften, die „Dr. Slump“ kennzeichneten, sollte später auch charakteristisch für sein weltweit bekanntes Hauptwerk „Dragon Ball“ werden.

Gender-Debatte erobert das Genre, aber nicht immer positiv besetzt

Basierend auf dem chinesischen Märchen „Die Reise nach Westen“, das vom übermenschlich starken Affenkönig Sun Wukong erzählt, schuf Toriyama seinen Hauptcharakter Son Goku, einen kleinen Jungen mit Affenschwanz, der in der Kampfkunst unterrichtet wird und sich bei Vollmond in einen riesigen Affen verwandelt. Zunächst handelte der Manga von der Suche nach den namensgebenden Dragon Balls; sieben magischen Kugeln, die ihrem Besitzer einen Wunsch erfüllen. Im Verlauf der Reihe wächst Goku zu einem Helden heran, dessen Superkräfte selbst Superman wie einen Schwächling wirken lassen. 

Da der Planet Erde längst nicht mehr als Kampffeld ausreicht, verlagert sich die Handlung in den Weltraum und selbst in das Jenseits. Von 1984 bis 1995 veröffentlichte Toriyama über 500 Kapitel von „Dragon Ball“, das mit weltweit 230 Millionen verkauften Exemplaren lange Zeit der erfolgreichste Manga aller Zeiten war. Neben mehreren Anime-Fernsehserien – unter anderem die auch im Westen bekannte Serie „Dragon Ball Z“ – und zahlreichen Videospielen erschien 2008 die Realfilm-Umsetzung „Dragon Ball Evolution“, die jedoch von Fans stark kritisiert wurde. Auch Toriyama persönlich war von der Verfilmung enttäuscht und kehrte aus seinem Ruhestand zurück, um aus Protest gegen diesen Film eine Fortsetzung von „Dragon Ball“ zu schreiben: „Dragon Ball Super“ wird daher seit 2015 ausgestrahlt und hat nun seinen Schöpfer überlebt.

Ein großer Unterschied zu Toriyamas Zeit sind heute die veränderten Produktionszyklen im Anime-Geschäft. Früher wurden wöchentlich neue Folgen im Fernsehen ausgestrahlt, so daß ein Handlungsstrang oftmals stark gestreckt werden mußte oder durch Füll-Episoden aufgebläht wurde, um jede Woche neue Episoden zu produzieren. Aber durch die Veröffentlichung auf Streaming-Seiten wie Crunchyroll statt im linearen Fernsehen ist die Branche dazu übergegangen, in Abständen von mehreren Monaten oder Jahren Folgen en bloc zu veröffentlichen. Statt Serien mit Hunderten von Folgen dominieren daher inzwischen kurzlebigere Formate mit wenigen Dutzend Episoden.

Auch inhaltlich hat sich viel gewandelt: Zwar gibt es immer noch actionlastige Shounen-Serien (für ein jugendliches männliches Publikum), doch sind diese inzwischen so repetitiv geworden, daß die Parodie „One Punch Man“ über einen Superhelden, der jeden Gegner ohne Anstrengung mit einem Schlag besiegt, zu einem Welterfolg wurde. Nicht erst seit woken Tendenzen im Westen experimentiert das Genre zudem mit nicht-binären Geschlechterrollen, ohne dabei aber belehrend zu wirken, sondern um teils die Übernatürlichkeit der Charaktere zu betonen oder es politisch inkorrekt für humoristische Szenen auszuspielen. 

Insbesondere in den letzten Jahren hat sich das Isekai-Genre zu einer dominanten Richtung in Anime und Manga entwickelt. Hier verschwimmt die Grenze zwischen Realität und virtueller Welt, indem ein Mensch in einem Videospiel gefangen ist und die eigentlich leblosen Gegner und Mitstreiter plötzlich eigene Persönlichkeiten entwickeln. Was ist real – das alte Leben oder die digitale Welt? Eine Frage, die mit der fortschreitenden Technisierung nicht erst seit der Künstlichen Intelligenz sich wohl viele Menschen stellen. Vielleicht wird die Kunst einen Denkanstoß liefern, sie zu beantworten.