© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/24 / 22. März 2024

Die erbarmungslosen Experten
Der Deutsche Ethikrat ist wie bei Corona auch bei der „Klimagerechtigkeit“ klar auf radikalem Regierungskurs
Jörg Fischer

Die Deindustrialisierung startete auf leisen Sohlen – ganz ohne die Grünen und die „Fridays for Future“-Gymnasiasten: Atomausstieg und Ticketsteuer 2011, Klimaschutzplan 2050 (2016), aus dem „Gesetz zur Einhaltung der Klimaziele 2030“ im Koalitionsvertrag 2018 wurde 2019 das Klimaschutzgesetz und das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG). 2020 folgte das Kohleausstiegsgesetz und 2021 der Klimabeschluß des Bundesverfassungsgerichts.

Die Ampel glaubte, mit dem „Heizungshammer“ konkret werden zu können, doch der Ukraine-Krieg, Inflation und Rezession verdrängten die Klimapanik. Dann spekuliert eine Studie von René van Westen (Universität Utrecht), daß es nicht bis zu 4,7 Grad wärmer (Umweltbundesamt), sondern daß es in einigen Regionen Europas bis zu drei Grad pro Jahrzehnt kälter werden könnte, wenn der Golfstrom abbrechen sollte. Das paßt dem Deutschen Ethikrat nicht ins Konzept, weshalb er auf Seite 9 seiner 129seitigen „Stellungnahme Klimagerechtigkeit“ den „Sachstand“ festlegte: „Es bestehen keine vernünftigen Zweifel mehr, daß es seit Beginn der Industrialisierung durch menschliche Einflüsse zu einer globalen Klimaerwärmung kommt.“

Die Verbrennung fossiler Energieträger bringe „Starkniederschläge, Überschwemmungen, Hitzewellen und Dürren“, was „mittelbare Schäden wie Armut, Hungersnot und Flucht“ nach sich ziehe. Die Berichte des Weltklimarats oder das Apostolische Schreiben „Laudate Deum“ (JF 42/23) sehen das ähnlich. Doch während Papst Franziskus lediglich den „unverantwortlichen Lebensstil“ anprangert und zum Wohlstandsverzicht aufruft, verlangt der Ethikrat unverhohlen staatliche „Freiheitseinschränkungen“ zur CO₂-Reduktion – obwohl der deutsche Anteil an den globalen Emissionen nur 1,8 Prozent beträgt und die Weltbevölkerung bis 2060 von acht auf zehn Milliarden ansteigt.

„Mit Freiheitseinschränkungen staatlich intervenieren“

Corona war die Generalprobe für die erbarmungslosen Freiheitseinschränkungen: Am 15. März 2020 war der Lockdown eine Verschwörungstheorie, am folgenden Wochenende trat er in Kraft. Die Ethikrat-Chefin Alena Buyx wurde zum allgegenwärtigen Expertengesicht der Covid-19-Maßnahmen. Ihre Kollegin Kerstin Schlögl-Flierl – wie Buyx von der CDU in den Rat berufen – versucht als Sprecherin der AG Klimaethik dem nachzueifern: „Das Klima ist ein globales Gemeingut“, doziert die katholische Theologin, und „sich nur auf die anderen zu verlassen, führt letztlich dazu, daß niemand etwas tut.“ Das dürfe aber nicht sein.

Ihr Stellvertreter, der Technikphilosoph Armin Grunwald wird konkreter: Da „wir alle“ Mitverursacher seien, gebe es eine „individuelle moralische Mitwirkungspflicht“. Da aber oft „klimafreundliches Handeln schwer bis unzumutbar“ sei, „brauchen wir unbedingt staatliche Regelungen“ – oder wie es schon am 29. Juli 2019 der WDR-Journalist und grüne Weltreisende Lorenz Beckhardt in den ARD-„Tagesthemen“ forderte: „Macht Fleisch, Auto fahren und Fliegen so verdammt teuer, daß wir davon herunterkommen. Bitte! Schnell!“

Da dies von Durchschnittsverdienern als ungerecht empfunden wird, wird eine „pauschale Pro-Kopf-Rückvergütung aus der CO₂-Bepreisung“ (Stichwort: BEHG) versprochen. Das steht auch im Ampel-Koalitionsvertrag, doch die Milliarden fließen in die Subventionierung der „erneuerbaren Energien“. Beckhardt und Grunwald können den CO₂-Aufschlag zahlen – der Handwerker und die Krankenschwester nicht. Und die „historische Verantwortung“ liegt sicher nicht bei ihnen. Wenn mit „Gerechtigkeit“ argumentiert wird, verbergen sich im Kleingedruckten große Ungerechtigkeiten. Hinter „egalitaristischen, suffizientaristischen und prioritaristischen Überlegungen“ stecken Umverteilungsideen: von der arbeitenden Mitte nach unten, in den „globalen Süden“ und in die „Zukunft“. Die „überproportionale Bepreisung besonders klimaschädlicher Produkte oder Dienstleistungen“ – Auto, Fleisch, Urlaubsflüge oder Einfamilienhaus – macht all das für die Mitte unbezahlbar.

„Moralisches Heldentum“ könne zwar nicht verlangt werden, aber eine „individuelle moralische Mitwirkungspflicht“. Wer der nicht nachkomme, bei dem könne auch „staatlich mit Freiheitseinschränkungen interveniert werden“. Corona ist wieder das unausgesprochene „Vorbild“. Und da es um eine „umfassende Transformationen“ gehe, müßten „bisherige Freiheiten und Besitzstände in Frage gestellt werden“ und Bereiche „politisch reguliert werden, die bislang ganz oder weitgehend dem privaten Handeln überlassen waren (z. B. Mobilität, Ernährung oder Raumwärme)“. Übersetzt heißt das: Verbrennerverbot, Soja-/Insekten- statt Wurstverzehr und Wärmepumpenzwang.

Da dies „heftige Abwehrreaktionen“ auslöse, wird die „Klimaverantwortung“ als „rechtliches Prinzip“ erfunden: „Innere und von Gründen geleitete Einsicht führt zu Selbstverpflichtungen als Ausdruck der eigenen Freiheit – und nicht als Freiheitseinschränkung von außen. Auf individueller Ebene kann dies bedeuten, bisherige Lebensstile in Frage zu stellen bzw. Verhalten zu verändern, beispielsweise durch die freiwillige Änderung des Urlaubs-, Konsum- oder Mobilitätsverhaltens.“ Aber was ist mit dem, der nicht freiwillig mitmacht, dem „Querdenker“? „Staatliche Interventionen können unterschiedlich weit reichen, von Appellen über Anreize bis hin zu Ge- und Verboten“, denn eine „weltweite Bewegung hin zu einem klimaschonenderen Lebensstil ist nicht zu erkennen“. Die Klima-Notstandsargumentation und ökodiktatorische Maßnahmen werden zwar abgelehnt, aber „freilich bedeutet das nicht, daß die gegenwärtigen Formen der Demokratie bereits die besten Lösungen zum Umgang mit dem Klimawandel bieten“.

„Überschießender und tendenziell illiberaler Moralismus“

Wohl nicht nur deshalb distanzieren sich drei der 26 Mitglieder des Ethikrats – die Juristen Steffen Augsberg und Frauke Rostalski sowie der Theologe Franz-Josef Bormann – von der Stellungnahme. Sie kritisieren in ihrem sechsseitigen Sondervotum das Konzept der Klimagerechtigkeit und fragen, warum bei den „großen Menschheitsaufgaben“ nicht dem Kampf gegen Hunger oberste Priorität zukomme?

Eine „Wahlfreiheit im Hinblick auf mehr oder weniger CO₂-lastige Lebenspraktiken“ sei für die meisten „nicht gegeben, selbst dann nicht, wenn ihnen finanzielle Hilfen bereitgestellt werden“. Mit der „umfangreichen CO₂-Bepreisung“ werde „ein besonders eingriffsintensives Instrument zur umfassenden Steuerung und Überwachung privater Lebensführung etabliert“. Die nationale CO₂-Bilanz habe nur „einen sehr geringen Einfluß auf den globalen CO₂-Ausstoß“, daher seien Eingriffe in die individuelle Freiheit der Bürger „schlicht nicht verhältnismäßig“. Der „appellative Ton“ der Stellungnahme schlage sogar „in einen überschießenden und tendenziell illiberalen Moralismus um“, weil den Bürgern eine „moralische Mitwirkungspflicht auferlegt“ werde: Sie sollen „ihre Interessen an mehr Klimagerechtigkeit in lokalen Initiativen, überregionalen Umweltverbänden oder sozialen Bewegungen bündeln“. Und weshalb sollte es den mündigen Bürgern nicht selbst überlassen bleiben, „die Ziele ihres jeweiligen politischen Engagements autonom zu bestimmen?“