© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/24 / 22. März 2024

Flucht vor plündernden Hussiten
Vor 600 Jahren wurden die Reichsinsignien in einer Geheimaktion aus Böhmen nach Nürnberg gebracht, wo sie bis zur letzten Kaiserkrönung blieben
Jan von Flocken

Den Rettungsplan lieferten zwei hoch angesehene Bürger aus Nürnberg. Sebald Pfinzing und Sigmund Stromer von der Rosen kutschierten im Frühjahr 1424 eine unauffällige Ladung Fischfässer über die Donau nach Süddeutschland, und zwar „also heimlich, daß mehr als sechs Personen nichts darüber wußten“. Die Diskretion war notwendig, denn in den Fässern befand sich der wertvollste Schatz der Christenheit.

Drei Jahre zuvor hatte der römisch-deutsche König Sigmund, der auch noch König von Ungarn war, die sogenannten Reichskleinodien zur Festung Visegrád am Donauknie überführen lassen. Als sie auch hier nicht mehr sicher schienen, ordnete er im September 1423 die Überführung des Reichsschatzes in die Stadt Nürnberg an.  

Bei dieser unerhört kostbaren Fracht handelte es sich um die offiziellen Herrschaftszeichen der Kaiser und Könige des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Kaiser Karl IV., gleichzeitiger König von Böhmen, ließ den Schatz schließlich 1352 in die nach ihm benannte Burg Karlstein südwestlich von Prag verfrachten. Sein Sohn und seit 1410 regierender Nachfolger Sigmund sollte bald erhebliche Probleme mit den Böhmen bekommen.

Auf dem Konzil zu Konstanz, das der christlichen Glaubensspaltung endlich ein Ende bereiten sollte, wurde auch der Prager Prediger Jan Hus vernommen. Seine Lehre galt als ketzerisch. Als Hus sich mehrmals weigerte, seinen Thesen abzuschwören, verbrannte man ihn am 6. Juli 1415 als Häretiker auf dem Scheiterhaufen. Seine zahlreichen Anhänger in Böhmen, landläufig als „Hussiten“ bezeichnet, reagierten darauf mit Volksaufständen, die ab 1419 in einen regelrechten Krieg mündeten. Sigmund wurde als König von Böhmen abgesetzt, und mehrere seiner Heere mußten schwere Niederlagen einstecken.

Es galt, den Schatz vor den Hussiten zu retten, und so wurde er ab März 1424 „auf ewige Zeiten“ der Kirche des Nürnberger Heilig-Geist-Spitals zur Aufbewahrung übergeben. Lediglich zu den Königskrönungen im Dom zu Frankfurt/Main verließen die Insignien ihren sichern Hort. Die in Nürnberg alljährlich für dreieinhalb Wochen öffentlich gezeigten Prunkstücke bestanden aus insgesamt 25 Teilen. Ihr wichtigstes Symbol ist die Reichskrone. Bei der Krönung übergab man sie zusammen mit dem Zepter und dem Reichsapfel an den neuen König. Das um 1300 angefertigte Reichszepter symbolisiert die weltliche Macht des Monarchen. Der vergoldete, von einem Kreuz bekrönte Reichsapfel verkörpert den Erdball in der Hand des Kaisers als Sinnbild seiner irdischen Herrschaft. Gleiches gilt vom Reichsschwert. Die Waffe aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts sollte die Macht, Stärke und Wehrhaftigkeit des Deutschen Reichs verkörpern. Dazu gehört auch das um 1030 gefertigte Reichskreuz. Außerdem sind mehrere Heiligenschreine (Reliquiare) beigefügt; sie enthalten angeblich auch einen Gewandzipfel des Evangelisten Johannes.

Die letzte Krönung mit den Reichskleinodien fand am 14. Juli 1792 in Frankfurt am Main statt, als der Habsburger Franz II. den Thron bestieg. Vier Jahre später mußte der Schatz vor den bedrohlich näher rückenden Truppen der Franzosen in Sicherheit gebracht werden. Ende Juni 1796 begann sein Transport nach Wien, wo er am 29. Oktober ankam. Dort wurden die Kostbarkeiten in der Schatzkammer der Hofburg hinterlegt.

Am 6. August 1806 erklärte Kaiser Franz II. unter dem Druck eines Ultimatums von Napoleon das Heilige Römische Reich für aufgelöst. Damit verloren auch die Reichskleinodien ihren offiziellen Rang. Sie blieben in der Wiener Schatzkammer. 132 Jahre danach gab es ein kurzes Intermezzo. Auf Geheiß Adolf Hitlers wurden nach dem sogenannten Anschluß Österreichs die Reichskleinodien Ende August 1938 nach Nürnberg überführt, hier kurzzeitig in der Katharinenkirche ausgestellt und am 31. März 1945 in der versteckten Nische eines Altstadtbunkers eingemauert. Dort fanden sie US-Soldaten und posierten mit den Reichsinsignien. Die US-Besatzer entsprachen Anfang 1946 dem Wunsch der österreichischen Bundesregierung nach einer Rückführung. Seit 1954 dürfen die Reichskleinodien wieder in der Schatzkammer der Wiener Hofburg bewundert werden.