© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/24 / 22. März 2024

„Schwarze Kugeln, die aus dem Monde gefallen“
Unidentifizierte Flugobjekte: Andreas Müller über bemerkenswerte Schilderungen aus vielen Jahrhunderten in deutschen Archiven
Thomas Schäfer

Noch vor wenigen Jahren galt es als höchst unseriös, sich mit Unidentifizierten Flugobjekten (Ufos) zu befassen. Dann freilich legten das US-Verteidigungsministerium und die Raumfahrtbehörde Nasa mehrere Programme zur Erforschung Unidentifizierter Luftraumphänomene (UAPs) auf. Der wichtigste Akteur auf diesem Gebiet ist derzeit das All-domain Anomaly Resolution Office (AARO), welches dem Pentagon untersteht und 2022 aus der Unidentified Aerial Phenomena Task Force (UAPTF) des Marinegeheimdienstes ONI sowie der Airborne Object Identification and Management Synchronization Group (AOIMSG) des Verteidigungsministeriums hervorging. Wobei die letzteren in Fortführung des Advanced Aerospace Threat Identification Program (AATIP) der Regierung in Washington gegründet worden waren. In Deutschland gibt es seit 1973 im hessischen Breitenbrunn das „Centrale Erforschungs-Netz außergewöhnlicher Himmelsphänomene“ als Meldestelle für ungewöhnliche Himmelswahrnehmungen. Wie der Betreiber Hansjürgen Köhler mitteilte, waren die 2023 gemeldeten 807 vermeintlichen Ufo-Sichtungen aber alle auf astronomische Phänomene zurückzuführen. 

Im Zuge der Recherchen der US-Experten konnten bislang aber mehrere hundert UAPs mit physikalisch „unmöglichen“ Eigenschaften identifiziert werden. Dabei versuchte man dem Ufo- beziehungsweise UAP-Phänomen aber nicht nur in den Vereinigten Staaten auf den Grund zu gehen. Das zeigte der Wissenschaftsjournalist Andreas Müller, welcher dem Interdisziplinären Forschungszentrum für Extraterrestrik (IFEX) der Universität Würzburg angehört, in seinem 2021 erschienenen Buch „Deutschlands Ufo-Akten – Über den politischen Umgang mit dem Ufo-Phänomen“. Darin schilderte er auf der Basis von Dokumenten aus den Archiven der Geheimdienste in der DDR und der Bundesrepublik sowie Unterlagen zahlreicher weiterer Behörden und Regierungsstellen, wie die beiden deutschen Staaten hinter das Geheimnis der Unidentifizierten Flugobjekte zu kommen versuchten, ohne dabei aber substantielle Ergebnisse zu erzielen. In diesem Zusammenhang zitierte Müller unter anderem aus einer Ufo-Akte des Bundesnachrichtendienstes, die vor ihm noch kein Außenstehender einsehen durfte.

Nunmehr legt der Autor mit „Deutschlands historische Ufo-Akten“ quasi den nachgeschobenen Prolog für sein Erstlingswerk vor, in dem Ufo-Sichtungen in der Zeit von 776, also der Zeit Karls des Großen, bis 1898 behandelt werden. Dem vorausgegangen waren aufwendige Recherchen, um aus der schier unüberschaubaren Menge an Schilderungen von mysteriösen Himmelsphänomenen jene herauszufiltern, „die eine Überprüfung, Hinterfragung und Gegenüberstellung mit heute verstandenen Phänomen (...) überstanden haben und die anhand der beschriebenen Eigenschaften, Verhaltensweisen und Erscheinungsformen dem ähneln, was wir auch heute noch als Ufo-Sichtung bezeichnen würden.“ Das heißt, Berichte über Engel, Gotteserscheinungen, Drachen und ähnliche Wunder am Himmel fanden ebensowenig Berücksichtigung wie Beschreibungen atmosphärisch oder astronomisch eindeutig erklärbarer Vorgänge.

Übrig blieben 34 Fälle aus Deutschland sowie aus Österreich und der Schweiz, beginnend mit den zwei „rot leuchtenden fliegenden Schilden“, welche 776 über der Syburg im Ruhrtal aufgetaucht sein sollen, und endend mit „einem dunklen kugelförmigen Körper vor der Sonne“, der am 4. Februar 1898 bei Greifswald beobachtet wurde.

Wie heute auch dominierten damals Ufos mit kugel- oder scheibenartigem Aussehen. Jeder dritte historische Bericht erwähnt „fliegende Teller“ oder „feurige“ beziehungsweise „schwarze Kugeln, die aus dem Monde gefallen“ oder „umb die Sonne gefahren“. Dabei verfügten diese Objekte manchmal noch über erstaunliche Eigenschaften: Einige schwebten auf die Erde herab, um dort Metalle zu schmelzen, wie am 16. Januar 1538 bei Bamberg. Andere hingegen „fuhren wieder auf“, nachdem sie niedergestürzt waren, wie im Juni 1623 im schweizerischen Chur.

Bemerkenswerte Beobachtungen lange vor Luft- und Raumfahrt

Doch damit nicht genug der Merkwürdigkeiten. Im Frühjahr 1136 sah Kaiser Lothar III. bei Quedlinburg „eine Art Leiter“ durch die Luft fliegen, während am 7. April 1344 in Feldkirch „ein schröckhlicher feüriger Klotz“ landete, um kurz danach in den Himmel zurückzukehren. Zwei Quellen berichten zudem von „feurigen Balken“ über Worms und Weimar in den Jahren 1493 und 1535, bei denen es sich aufgrund der geschilderten Bewegungsmuster weder um Kometen noch um Meteore gehandelt haben kann. Bemerkenswert sind desgleichen auch das „groß Feuer“, welches im Mai 1555 bei Wesel in den Rhein stürzte und wieder nach oben schoß, sowie das Nürnberger „Himmelsspektakel“ vom 14. April 1561, bei dem etliche kugel-, kreuz- und zylinderförmige Objekte miteinander „gekämpft“ haben sollen.

Noch rätselhafter wirken die „schneeweiß Ei-Gestalt“, die am 25. Januar 1630 über Tübingen auftauchte, wobei deren Beschreibung von keinem Geringeren als dem Universalgelehrten Wilhelm Schickard stammt, der „Fliegende Sarg“ 1665 über Wien und die „helle herabsteigende Sonne“ mit bizarren Anhängseln, über die der Pfarrer Johann Christian Ziegler aus Lindenau 1736 schrieb. Außerdem gibt es noch Schilderungen, in denen von einer „Spindel“ die Rede ist, die sich im Sommer 1762 im Bereich Lausanne-Bern-Basel vor die Sonne geschoben haben soll. Und dann wurde 1772 auch erstmals explizit von „einer einer großen Rakete ähnlichen Erscheinung“ berichtet, die langsam und leuchtend über die Inselfestung Wilhelmstein im Steinhuder Meer flog.

Müllers Werk besticht durch den präzisen Umgang mit den Quellen: Alle historischen Berichte werden zunächst im ursprünglichen Wortlaut zitiert, bevor dann Zusammenfassungen in heutiger Sprache folgen. Darüber hinaus sind vielfach auch Faksimiles der herangezogenen Holzschnitte, Kupferstiche, Zeichnungen, Flugblätter, Aktenstücke und Druckwerke abgebildet – ergänzt um Angaben, wo die Originale eingesehen werden können oder ihre Digitalisate zu finden sind.