© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/24 / 22. März 2024

Wie der Verfassungschutz politisiert wird
Das ist ein weißer Pudel
Lothar Fritze

In einem freiheitlichen Staat ist es der Regierung untersagt, die politische Willensbildung innerhalb des demokratischen Spektrums unter parteipolitischen Gesichtspunkten zu beeinflussen. Erlaubt ist es dem Staat lediglich, Auffassungen und Verhaltensweisen, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar sind, entsprechend (negativ) zu bewerten. Die damit verbundene Einschränkung der Meinungsfreiheit verstößt nicht gegen die grundsätzliche Pflicht des Staates, sich im demokratischen Willensbildungsprozeß neutral zu verhalten.

Verfassungsschutzberichte sind als ein Mittel einsetzbar, mit dessen Hilfe der Staat auf eine formal legale Weise an der politischen Willensbildung mitwirken und trotzdem das Neutralitätsgebot illegitim durchbrechen kann. Mitunter nämlich werden vom Verfassungsschutz Auffassungen ohne eine nachvollziehbare Begründung als „extremistisch“ gegeißelt. Das Ziel beispielsweise, die relative ethnische und kulturelle Homogenität des Staates durch eine restriktive Einwanderungspolitik möglichst zu bewahren, verstößt nicht, wie etwa im Verfassungsschutzbericht von 2021 behauptet, gegen das Grundgesetz.

Die Verwendung eines ethnisch-kulturellen Volksbegriffs ist nicht verfassungsfeindlich, sondern entspricht der Intention der Schöpfer des Grundgesetzes. Deshalb konnten 1990, wie im Grundgesetz vorgesehen, die Staatsangehörigen der DDR in das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland eingegliedert werden – nicht hingegen die Staatsangehörigen der Tschechoslowakei oder Polens. Eine Abwertung von Tschechen, Slowaken oder Polen war damit nicht verbunden. Als nationalstaatliche Verfassung eines in seiner großen Mehrheit aus ethnisch Deutschen bestehenden Staatsvolks kennt das Grundgesetz auch einen ethnokulturellen Volksbegriff.

Extremismus-Experten sehen seit langem die Gefahr, daß die Auslegung des Verfassungstextes in den Dienst bestimmter, nicht allgemein akzeptierter weltanschaulicher Grundüberzeugungen sowie partei- und machtpolitischer Interessen gestellt wird. In dem Maße, in dem sich die Beurteilungen der Verfassungsschutzbehörden, flankiert von diversen Gerichtsentscheidungen, auf eine ideologiegeleitete Neuauslegung, ja Umdeutung des Grundgesetzes stützen, wird der Verfassungsschutz zu einem Instrument der (illegitimen) Bekämpfung der demokratischen Opposition. Daß auch der Bundesverfassungsschutz unter seiner gegenwärtigen Führung verstärkt auf dieserart Abwege geraten ist, dürfte kaum bestreitbar sein. Eine Verfassungsschutzbehörde, die sich von der Politik instrumentalisieren läßt, wird selbst zu einer Gefahr für den freiheitlichen demokratischen Staat. Auf ihre Deklarationen können sich Politiker, Journalisten und Wissenschaftler berufen und entsprechende Eingruppierungen von Personen oder Gruppen als „extremistisch“ wiederkäuen. Je häufiger eine Kennzeichnung wiederholt wird, um so eher gilt sie dem glaubensbereiten Unbedarften als Wahrheit. Die Begründung, die für die betreffende Kennzeichnung herhalten mußte, muß er nicht kennen. Überhaupt wiegt allein der Vorwurf so schwer, daß jeder, der nach einer Begründung fragt, sich dadurch ins Abseits stellt.

Daher ist gerade auch vom Verfassungsschutz höchste Sorgfalt zu erwarten. Wurden unklare, falsche oder überzogene Kennzeichnungen erst einmal in Umlauf gesetzt, können sie fortan bei den in der Parteiendemokratie kaum wegdenkbaren Versuchen, den politischen Gegner zu stigmatisieren, genutzt werden. Dies führt nicht nur zu einer semantischen Entleerung des Extremismusbegriffs; geschädigt wird der gesamte demokratische Prozeß.

Auch das bloße Haben oder Äußern einer Meinung kann bei der gegenwärtigen Arbeit des Bundesverfassungsschutzes zur Anprangerung in Verfassungsschutzberichten führen, ohne daß Beweise für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Relevant ist aber nicht die Meinung als solche, denn Meinungen genießen den Schutz des Grundgesetzes, „ohne daß es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird“, wie das Bundesverfassungsgericht noch 2009 festgestellt hat. Legitim unterbunden werden können Meinungsäußerungen nur dann, wenn sie drohen, Rechtsgüter zu verletzen – wenn mit der öffentlichen Äußerung dieser Meinungen „die Schwelle zur individualisierbaren, konkret faßbaren Gefahr einer Rechtsverletzung überschritten“ wird.

Die Verfassungsschutzbehörden haben daher nicht Meinungen als solche zu bewerten. Das Prinzip der wehrhaften Demokratie bezieht sich allein auf politische Zielsetzungen, die auf die Beseitigung der konstitutionellen Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates gerichtet sind. Entscheidend ist der Wille, solche verfassungsfeindlichen Vorstellungen in die Tat umzusetzen. Ob eine Meinungsäußerung, ob Kritik mit einer derartigen Veränderungsabsicht verbunden ist, ist jeweils zu prüfen. Finden Auffassungen oder auch Organisationen in Verfassungsschutzberichten Erwähnung, obwohl keine verfassungsfeindliche Zielsetzung nachgewiesen werden konnte, liegt kein gültiger Rechtfertigungsgrund für die mit einer solchen Erwähnung verbundene Einschränkung der Meinungsfreiheit vor, worauf schon der Rechtswissenschaftler Dietrich Murswiek hingewiesen hat.

Der Regierung eines freiheitlichen Staates ist es untersagt, nicht-verfassungsfeindliche Auffassungen oder Zielsetzungen mit hoheitlichen Mitteln zu bekämpfen. Der Staatsapparat darf nicht genutzt werden, um Parteipolitik zu betreiben. Es ist daher inakzeptabel, wenn sich Beamte oder sonstige im Auftrag des Staates tätige Personen im Rahmen ihrer Funktion und staatlich vergüteten Tätigkeit weltanschaulich-tendenziös und politisch-parteiergreifend verhalten oder entsprechend äußern oder sich gar als „Wahlkampfgehilfen“ in den Dienst einzelner Parteien stellen.

Genausowenig kann es eine Aufgabe der staatlichen Bürokratie sein, durch Anpassung der Behördensprache an Regeln einer „Political Correctness“ das von einer elitären Minderheit propagierte Sprachregime gegen alle gewachsenen Üblichkeiten des Sprechens gesellschaftlich durchzusetzen.

Ebenso darf sowohl von Lehrern und Erziehern in staatlichen Einrichtungen als auch von Journalisten in gebührenfinanzierten Rundfunk- und Fernsehanstalten erwartet werden, daß sie auf das Predigen persönlicher Überzeugungen und Wertvorstellungen in aller Regel verzichten. Definierte und kenntlich gemachte Ausnahmen sind möglich, wenn das Gleichheitsgebot beachtet wird und unterschiedliche, insbesondere miteinander konkurrierende, Positionen gleichermaßen zur Geltung kommen können.

Die Neutralität des Staates hat sich ebenso im Kampf gegen den politischen Extremismus zu bewähren. Auch hier sind Einseitigkeiten in der Bewertung von links- und rechtsextremistischen Positionen und Gewaltakten zu vermeiden. Leider kommen Staatsorgane wie Medien dieser Forderung nur ungenügend nach. Die Ämter für Verfassungsschutz haben die Aufgabe, zum Schutz des freiheitlichen demokratischen Staates extremistische Bestrebungen aufzuklären und auf entsprechende Gefahren hinzuweisen. Es ist daher inakzeptabel, wenn der gegenwärtige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz die Begriffe „rechts“ und „rechtsextremistisch“ häufig synonym verwendet und damit seine Behörde zu einem Mitspieler im politischen Kampf macht. 

Daß auch der Staat einen „Kampf gegen Rechts“ und nicht nur, wie es allein zulässig wäre, „gegen Rechtsextremismus“ führt, ist zu Recht als „ein krasser Verstoß gegen Freiheitsrechte“ schon von dem Staatsrechtler Walter Schmitt Glaeser verurteilt worden. Es ist zugleich ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht des Staates, die es ihm verbietet, im Sinne einer bestimmten weltanschaulichen oder politischen Ausrichtung in die politische Willensbildung einzugreifen. Der Staat hat sich jeglicher Kampagnen dieser Art zu enthalten. Wenn der Bundeskanzler Olaf Scholz auf ein „klares Votum gegen Rechts“ setzt und das Volk dazu aufruft, „demokratische Parteien und nicht die rechten“ zu wählen, delegitimiert er das gesamte Spektrum konservativer Wertüberzeugungen und Lebenseinstellungen. Er dokumentiert damit, fundamentale Prinzipien des freiheitlich-demokratischen Staates entweder nicht verstanden zu haben oder willens zu sein, sich über diese hinwegzusetzen. Daß aber auch Vertreter einer ehemals konservativen Partei, nämlich der CDU, derartigen ideologischen Parolen aus dem Lager des politischen Gegners folgen und sich an der Verunglimpfung großer Teile des Volkes beteiligen, ist eine Torheit ersten Ranges. 

Positionen, die auf dem rechten Feld des politischen Meinungsspektrums verortet werden, sind, sofern sie nicht als rechtsextremistisch zu gelten haben, verfassungsrechtlich legitime Positionen. Wer als Konservativer sich dem undifferenzierten „Kampf gegen Rechts“ widmet, kämpft nicht nur gegen sich selbst, sondern führt auch einen Kampf, der in Teilen, nämlich sofern er legitime Positionen für verfassungswidrig erklärt, demokratiefeindlich ist. In diesem Sinne ist dem früheren Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, zuzustimmen, der der JUNGEN FREIHEIT gegenüber betont hatte: „Der Kampf gegen Rechts ist somit auch ein Kampf gegen das Recht.“

Der „Kampf gegen Rechts“ ist eine Delegitimierungs- und Ausgrenzungsstrategie einer kosmopolitisch und universalistisch orientierten Elite. Das politische Ziel dieser Exklusionsstrategie ist es, dem Willen der Mehrheit der Bürger einen „braunen Anstrich“ zu verpassen, um ihn um so leichter mißachten zu können. Diese „Elite“, in der eine marxistisch inspirierte radikale Linke einen erheblichen geistigen Einfluß ausübt, versucht die Definitionshoheit über das politische Vokabular medial zu okkupieren und auf diese Weise ihre eigenen politisch-moralischen Überzeugungen als einzig legitime Position zu etablieren. 

Faktisch ist diese Kampfmethode auf die Zerstörung der Demokratie und die freiheitliche Gesellschaft gerichtet. Die nicht zu rechtfertigende pauschale Stigmatisierung politisch rechter Positionen attestiert einem Großteil der Menschen in diesem Land Verfassungsfeindlichkeit. Die damit verbundene Ausgrenzung ist ein Schritt in die Tyrannei.






Prof. Dr. Lothar Fritze, Jahrgang 1954, Politikwissenschafler, arbeitete von 1993 bis 2019 am Hannah-Arendt-Institut in Dresden. Aktuelle Buchveröffentlichung: „Angriff auf den freiheitlichen Staat“,  Basilisken-Presse, Marburg an der Lahn 2020