© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/24 / 22. März 2024

Sexualisierter Mißbrauch im protestantischen sexuallibertären Kontext
Vom Pfarrhaus bis zum Kindergarten
(ob)

Anfang Januar veröffentlichte eine interdisziplinär besetzte Forschungsgruppe endlich ihre lange erwartete Studie zur „Forschung und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Mißbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland“. Wer bis dahin der Ansicht war, die EKD überrage ihre katholische Schwester als moralische Instanz um Längen, sei dadurch eines Schlechteren belehrt worden, wie die Journalistin Ulrike Baureithel nicht ohne Häme in der März-Ausgabe der Monatszeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik (3/2024) kommentiert. 2.225 Fälle und 1.259 Beschuldigte listet die Studie auf, die trotz dieser erschreckenden Zahlen von einem noch nicht vermessenen „Dunkelfeld“ ausgeht, weil die Landeskirchen den Forschern nur Disziplinar- und nicht Personalakten zur Verfügung stellten. Gleichwohl werde sichtbar, daß sich die Gewalt auf allen Handlungsfeldern der EKD ausbreitete. Das gelte für den Konfirmandenunterricht ebenso wie für Pfarrhaus, Kindergarten und Heime in evangelischer Trägerschaft. Unter den Beschuldigten fanden sich auch 511 meist männliche, verheiratete Pastoren. Angesichts dessen lasse sich die Mär vom Mißbrauch fördernden katholischen Zölibat wohl ad acta legen. Vielmehr bedürfe nun der spezifisch protestantisch-sexuallibertäre Kontext einer kritischen Durchleuchtung, denn viele mißbräuchliche Beziehungen wurden den unmündigen Opfern als „Akt der Befreiung“ gepriesen. So wie auch die Autoren der Studie der EKD empfehlen, zwecks Mißbrauchs-prävention sich von „heteronormativen Denkmustern und Verhaltensweisen“ zu emanzipieren.