© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/24 / 22. März 2024

Der wahre Zauber des Unentgeltlichen
Wirtschaftsliteratur: Der Ökonom Jörg Guido Hülsmann analysiert die kostenlosen Güter im Spannungsfeld von Kapitalismus und Staat
Thorsten Polleit

Endlich hat Jörg Guido Hülsmann mit „Die Wirtschaft und das Unentgeltliche“ ein neues Werk vorgelegt. Mit insgesamt 563 Seiten eine umfangreiche, zugleich aber auch eine überaus wichtige Schrift in einer Zeit, in der viele fälschlicherweise die Ursache der Probleme im Kapitalismus verorten und im Eingreifen des Staates Heil und Lösung erblicken. Der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Angers im westfranzösischem Département Maine-et-Loire macht uns auf das Wesen unentgeltlicher Güter aufmerksam und unterzieht diese einer systematischen Betrachtung.

Spenden, Geschenke, Liebe, Unterstützung für Kranke, Fürsorge für Senioren, religiöse Feierlichkeiten, Allgemeinwissen wie Mathematik oder Logik, Sprache und Kultur – all das gehört ganz natürlich zum täglichen Leben. Meist denken wir darüber nicht tiefer nach, obwohl viele dieser unentgeltlichen Güter unverzichtbar sind. Was überraschend klingen mag: Unentgeltliche Güter entstehen in einem freien Marktsystem – und zwar in bester Qualität, besonders reichhaltig und unter ethisch akzeptablen Bedingungen. Hülsmann vermittelt, daß sie und das freie Marktsystem sich nicht nur ergänzen, sondern daß sie in einer wahrlich symbiotischen, sich gegenseitig befruchtenden Verbindung stehen.

Das Unentgeltliche steht nicht neben allen anderen Gütern des Marktes, sie sind vielmehr ein Teil der Markttransaktionen, sie sind unentrinnbar verwoben mit dem gesamten freien Marktgeschehen. Hülsmanns entwirft in seinem Buch eine umfassende Theorie der kostenlosen Güter, die er in die allgemeine VWL integriert. Dabei macht er sich dabei vor allem auch auf die Suche nach einem angemessenen Gleichgewicht zwischen unentgeltlichen Gütern und allen anderen Gütern. Ein solches Gleichgewicht stellt sich unter Bedingungen ein, die nicht starr und eindimensional sind, die kulturelle, wirtschaftliche und politische Ursachen haben, und die sich – weil sie dem menschlichen Handeln entspringen – im Zeitablauf verändern. In einem freien Marktsystem, dort wo die Handlungsfreiheit nicht vom Staat eingeschränkt wird, kann sich ein solches Gleichgewicht einstellen.

Ein angemessener Ausgleich wird durch staatliche Eingriffe gestört – etwa indem staatliche Nachfragepolitik die Märkte künstlich überdimensioniert, staatliche Maßnahmen Märkte unterdrücken oder Eigentumsrechte staatlich eingeschränkt werden. Genau das also, was viele heutzutage als notwendig und unverzichtbar ansehen – um dadurch politisch Erwünschtes herbeizubringen.

Aufschlußreiche Überlegungen zum „Philanthrokapitalismus“

In der Ökonomie ist dies als „Kritik des Interventionismus“ bekannt – benannt nach einer Schrift, die der Sozialphilosoph Ludwig von Mises 1929 veröffentlichte: Staatliche Markteingriffe können das Gesamtwohl nicht steigern, sie sind kein „Win-Win“, sondern sie schaffen Gewinner und Verlierer. Indem er die Theorie der unentgeltlichen Güter mit der Kritik des Interventionismus verbindet, kann Hülsmann letztlich aller antikapitalistischer Eiferei eine begründete Absage erteilen.

Mit klarer Sprache gelingt es ihm, den Leser durch seine anspruchsvollen Gedanken zu führen, nicht zuletzt durch eine dreiteilige Gliederung seines Buches: Nach der umfangreichen Einleitung geht es im ersten Teil um das Wesen unentgeltlicher Güter, im zweiten Teil um unentgeltliche Güter in einem freien Marktsystem und im dritten Teil um die Beziehung zwischen unentgeltlichen Gütern und dem Staat. Daß Hülsmann sich dem bisher recht unterbelichteten Thema der unentgeltlichen Güter gewidmet hat, ist nicht überraschend. Er hat bereits mehrfach mit herausragenden Arbeiten Neuland erkundet: Zu nennen sind hier seine Monumentalbiographie von Ludwig von Mises („The Last Knight of Liberalism“) und das Buch „Die Ethik der Geldproduktion“ (beide 2007) oder „Krise der Inflationskultur“ (2013).

Hülsmann gehört zu den international herausragenden Vertretern der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Und mit ihrer Orientierung auf das menschliche Handeln, wie es sich in der Lebensrealität wirklich darstellt, ist er methodisch besonders gut vorbereitet, sich mit dem Phänomen der unentgeltlichen Güter und den Bedingungen ihres Angebots und ihrer Nachfrage analytisch auseinanderzusetzen. So erklären sich auch Hülsmanns aufschlußreiche Überlegungen zum „Philanthrokapitalismus“, zur sogenannten Zivilgesellschaft und den NGOs sowie der herrschenden Geldordnung, deren Folgen für die Bereitstellung von unentgeltlichen Gütern bisher völlig vernachlässigt wurden.

Es ist sicherlich nicht zuviel gesagt, daß Hülsmann ein neues Standardwerk über unentgeltliche Güter geschaffen hat, das nicht nur Ökonomen, sondern letztlich alle lesen sollten, denen unentgeltliche Güter wichtig sind – und die wissen wollen, wie man sie zum Allgemeinwohl bestmöglich bereitstellen kann. Und nicht zuletzt enthält Hülsmanns Buch auch eine gehörige Portion wissenswerter, wirtschaftshistorischer Lehre, die der Leser quasi en passant aufnehmen kann.

Jörg Guido Hülsmann: Die Wirtschaft und das Unentgeltliche – Kostenlose Güter zwischen Kapitalismus und Staat. Landt Verlag, Berlin 2023, gebunden, 563 Seiten, 58 Euro