Serbien ist so ein Land, das ein Westler schwer zu fassen bekommt. „Balkan“, schon dieses Wort weckt ja etwas mehrdeutige Assoziationen, irgendwie osteuropäisch, irgendwie südlich, und irgendwie klingen die großen Linien der Geschichte an: Kriege, Königreiche, ein toter österreichischer Thronfolger. In Belgrad fallen zunächst die zahlreichen Landesflaggen auf. Rot-Blau-Weiß weht hier von kommunistischen Plattenbauten, von alten Hotels im Jugendstil und von kleinen Verkaufsständen am Straßenrand. „Naja“, sagt mein Begleiter, der Politikwissenschaftler Dušan Dostanić. „Das ist für das Stadtbild ganz nett, aber ich wünschte, es würde auch tatsächlich etwas Substantielles dahinterstehen. Die Regierung mag hier Flaggen aufhängen, aber für unsere tatsächliche Souveränität steht sie nicht.“
„Irgendwie osteuropäisch, irgendwie südlich“ beschreibt es gar nicht so schlecht. Die Stadt hat eine typische Ost-Architektur, der jugoslawische Brutalismus ist noch präsent. Alles ist auf sympathische Weise rustikal. Doch im Café säuseln warme Frühlingswinde die Enden der weißen Tischdecken nach oben, und in den kleinen Gassen sitzt bereits eine Ahnung der kommenden Sommerhitze.
Die meisten Serben, so mein Begleiter, sind zu „müde, um heute noch politisch zu kämpfen.“
Dostanić arbeitet beim Institut für Politische Studien und publiziert über Spengler, europäische Politik und die Geschichte des Konservatismus. Auf dem Weg zum Café laufen uns einige seiner Arbeitskollegen über den Weg. „Linksnationalisten“ nennt Dostanić sie. Einer von ihnen hat in der Vergangenheit zum Thema „Globalismus“ geschrieben und darüber, wie er Europa nicht gut zu tun scheint. Serbien auch nicht. Auch die JUNGE FREIHEIT kennt er. „In den 90er Jahren fuhr ein Kollege von mir nach Deutschland, ich bat ihn damals, mir ein Exemplar der JF mitzubringen. Damit ich ein wenig Deutsch lernen kann.“ Er lacht: „Tatsächlich habe ich ihn ein bißchen in Schwierigkeiten gebracht, er war auf Einladung der SPD da, und die reagierten etwas entsetzt, als er mit der Zeitung auftauchte.“
Am nächsten Tag zeigt mir ein Bekannter von Dostanić ein Neubaugebiet in der Stadt. Innerhalb weniger Jahre sei es hochgezogen worden, mit sündhaft teuren Kauf- und Mietpreisen, um wohlhabende Russen und Araber anzulocken. „Aber im Endeffekt weiß jeder, daß das hier eine Geldwaschindustrie ist. Die Gebäude sind in einem unglaublich schlechten Zustand.“
Wenn die jetzigen Käufer die Mängel bemerken werden, werde der Immobilienmarkt Serbiens kollabieren, glaubt er. Kein angenehmer Gedanke. Doch, und ohne zynisch sein zu wollen, merke ich an, daß ein solches Ereignis auch Chancen für politischen Wandel biete. „Die meisten Serben haben sich daran gewöhnt, daß ihre Regierung korrupt ist“, antwortet jedoch mein Begleiter, „und sie sind zu müde, um politisch zu kämpfen.“