© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/24 / 22. März 2024

Vertagt euch doch
AfD streitet mit Verfassungsschutz: Es geht um V-Leute und vor allem um den Volksbegriff – doch in Münster reichen zwei Verhandlungstage dafür nicht aus
Jörg Kürschner

Macht die AfD jetzt den Ramelow? Der thüringische Ministerpräsident (Linke) wurde 27 Jahre vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) beobachtet, ehe das Bundesverfassungsgericht dies 2013 schließlich verboten hat. Nach zwei Tagen intensiver Verhandlung mußte sich jetzt das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster im Verfahren AfD gegen BfV vertagen. Fortsetzung folgt, Zeitpunkt noch offen. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang hatte die Partei Anfang 2021 als „rechtsextremen Verdachtsfall“ einstufen lassen.  Rechtsmittel der AfD blieben erfolglos, Anfang März 2022 bestätigte das Verwaltungsgericht Köln die Einschätzung des Inlandsgeheimdienstes. 

Gegen dieses Urteil hat die AfD Berufung eingelegt, über die jetzt das OVG befinden muß. Der 5. Senat hatte geglaubt, der politisch heikle Rechtsstreit könne nach nur zwei Verhandlungstagen entschieden werden. Eine vermeidbare Fehleinschätzung, denn jetzt müssen die fünf Richter erst einmal von Amts wegen nach neuen Terminen suchen. Und als gesichert gilt, daß die jeweils unterlegene Seite Revision beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig beantragen wird. 

Es droht ein politisches Endlosverfahren, denn das Kölner Bundesamt arbeitet längst an einem neuen Gutachten über die AfD, wie der Prozeßvertreter des Dienstes indirekt vor Gericht einräumte. Haldenwang hatte öffentlich erklärt, daß er die Partei auf einem kontinuierlichen Weg „nach rechtsaußen“ sehe. Es geht also um Stufe drei, die Einstufung der Partei als „gesichert extremistische Bestrebung“. Sollte die AfD derart qualifiziert werden, dürfte das Auswirkungen auf AfD-Mitglieder haben, etwa auf Richter oder Angestellte im öffentlichen Dienst, die zu besonderer Verfassungstreue verpflichtet sind.

Im besten Einvernehmen mit seiner Dienstherrin, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), will das CDU-Mitglied Haldenwang der AfD offenbar den behördlichen Blattschuß verpassen – für ein Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Sollte es tatsächlich dazu kommen, dürfte der bald 64jährige nicht mehr im Amt sein. Dort will man erst den Ausgang des Verfahrens in Münster abwarten, dann soll Stufe drei gezündet werden – eine Bestätigung des Kölner Urteils vorausgesetzt. 

Anschließend würde der endlose Weg durch die Instanzen von neuem beginnen: Verwaltungsgericht, Oberverwaltungsgericht, Bundesverwaltungsgericht. Danach könnte noch das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Vorausgesetzt die Politik verliert nicht die Nerven und stellt in Karlsruhe zuvor den Antrag, die AfD zu verbieten. Ein Verbotsverfahren würde nach bisherigen Erfahrungen Jahre dauern.

„Echtes Interesse, auch Erstaunen bei den Richtern“

Doch zurück in den Gerichtssaal in Münster. Am Ende der Verhandlungen zeigte sich AfD-Bundesvorstandsmitglied Roman Reusch, ein früherer Leitender Oberstaatsanwalt, vorsichtig optimistisch über den Ausgang des Verfahrens. Während die Vorinstanz die Beweisanträge der Partei nicht gewürdigt und damit die weitere Beobachtung durch den Verfassungsschutz genehmigt habe, hätten die Richter am OVG kritische Fragen an das Bundesamt, vor allem zu V-Leuten und zum sogenannten „Volksbegriff“ gestellt, resümierte er. 

Prozeßbeobachter mit juristischem Sachverstand werten insbesondere die rund 210 Beweisanträge nicht wie viele Journalisten als bewußte Verfahrensverschleppung. Es gehe vielmehr um Rechtsfehler der Vorinstanz, die die AfD an Aussagen der NPD gemessen habe. Karlsruhe hatte zuletzt im Januar festgestellt, daß sich die NPD stark an nationalsozialistischem Gedankengut orientiere. Eine solche Wesensverwandtschaft der AfD mit dem NS-Regime behaupten nicht einmal deren ärgste Gegner. Zudem müßten die erst im Januar eingereichten 4.200 Seiten Dokumente gesichtet sowie 116 Stunden Videomaterial ausgewertet werden. Insgesamt sollen die Verfahrensakten etwa 14.000 Seiten umfassen. Die AfD-Rechtsanwälte verlangten auch Einsicht in zwei bisher geheime Verfassungsschutzgutachten zur Partei aus Sachsen und Sachsen-Anhalt. Das Gericht will das prüfen, erhob aber wegen der beträchtlichen Zahl der Beweisanträge auch den Vorwurf des Rechtsmißbrauchs. 

In den weiteren Verhandlungen will die AfD vom Bundesamt mehr über ihre Informanten in sozialen Netzwerken sowie über die V-Leute wissen. BfV-Vertreter Thilo Korte hatte erklärt, „daß nur zwei der einigen tausend Belege von menschlichen Quellen“ stammten. Eine „steuernde Einflußnahme“ liege nicht vor. Produziert das BfV selbst die Belege, um der AfD Verfassungsfeindlichkeit nachweisen zu können? Die Partei macht aus ihrer Überzeugung kein Hehl, der Verfassungsschutz werde parteipolitisch mißbraucht, sei eigentlich überflüssig.

Als positiv wurde in der AfD gewertet, daß der Senat ihrem Verlangen entsprach, drei Parteimitglieder mit Migrationshintergrund zu Wort kommen zu lassen; als Beleg dafür, daß die AfD keinen ethnischen Volksbegriff propagiere. Das Kölner Gericht hatte nämlich geurteilt, die Partei vertrete einen „völkisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff“. Eine Argumentation, die der Prozeßvertreter des BfV durch zahlreiche Textstellen zu belegen suchte. Reusch, der für seine Partei zwischen 2017 bis 2021 im Bundestag saß, räumte ein, daß es problematische Äußerungen von AfD-Politikern gebe. Diese seien jedoch „Blech“, entsprächen nicht der Parteilinie. 

Für die AfD geht es hier ums Ganze, und deshalb schickte sie Robert Lambrou, den hessischen Fraktions- und Landeschef, ins Rennen um die Deutungshoheit. Er stammt aus einer deutsch-griechischen Familie und wurde 1967 in Münster geboren. Er kam ebenso wie zwei weitere AfD-Vertreter in einer „informatorischen Anhörung“ zu Wort. Energisch widersprachen eine in Nigeria geborene Frau sowie ein Iraner, der seit langem in Deutschland lebt, der Darstellung, sie würden in der AfD stigmatisiert. Im Gegenteil, man fühle sich wohl, werde in die „Parteifamilie“ integriert. Lambrou hatte im Sommer vergangenen Jahres den bundesweiten Verein „Mit Migrationshintergrund für Deutschland“ gegründet. In einem griechischen Lokal in Gießen, wie er schmunzelnd gegenüber der JUNGEN FREIHEIT erzählt. Bei den Richtern will er „echtes Interesse, auch Erstaunen“ ob der Schilderungen der Migranten in der AfD registriert haben. Fazit: Die Partei nimmt das Verfahren sehr ernst. Ausgang offen.