Der Buchautor, Publizist und Ex-Politiker Mathias Brodkorb stellt sich quer zum Gros der Meinungsmacher, das einem AfD-Verbot geradezu entgegenfiebert: Die wirkliche Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat sieht er im Vorgehen des Verfassungsschutzes. Und weil er ihn für nicht zu reformieren und einer Demokratie für unwürdig hält, spricht er sich dafür aus, diesen institutionellen Sonderfall der Bundesrepublik abzuschaffen.
Sein Plädoyer sorgt für Aufsehen. Zum einen, da er dem linken Spektrum entstammt und keiner Rechtslastigkeit verdächtig ist, zum anderen, weil sein neues Buch „Gesinnungspolizei im Rechtsstaat? Der Verfassungsschutz als Erfüllungsgehilfe der Politik“ (siehe Seite 4) unverblümte, hieb- und stichfeste Begründungen liefert.
Brodkorb, der 1977 in Rostock geboren wurde und dort Philosophie und Altgriechisch studiert hat, galt anfangs als politischer Überflieger. Mit 25 Jahren zog er 2011 für die SPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ein, mit 34 wurde er Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur, später Finanzminister. Es schien ausgemacht, daß er eines Tages die Nachfolge seines Förderers Erwin Sellering antreten würde. Doch als der erkrankte Ministerpräsident 2017 überstürzt zurücktrat, hatte Ministerkollegin Manuela Schwesig die besseren Karten.
Brodkorb erkennt, daß der „Kampf gegen Rechts“ das Potential zur Auflösung der Polis und zum Bürgerkrieg hat
Brodkorb ist ein Alpha-, aber kein Kumpeltyp. Er vereint in seltener Weise mecklenburgische Sturheit mit philosophischem Feingeist. Statt Bier bevorzugt er guten Wein, dem Strippenziehen im Hinterzimmer zieht er die geschliffene Diskussion in gepflegter Atmosphäre vor. Die Neigung, andere seine geistige Überlegenheit spüren zu lassen, machte den Konflikt mit Alpha-Frau Schwesig unausweichlich. 2019 schied er aus der Landesregierung aus und zog sich bald ganz aus dem Politikbetrieb zurück.
Der Karriereknick war auch Befreiung. Man kann und mag ihn sich nicht in trauter Runde mit Söder, Ramelow etc. vorstellen und über die „rechte Gefahr“ als angeblichem Hauptproblem des Landes beratschlagen. Ein berufener Experte wäre er allerdings zweifellos, denn seine Karriere begann mit der Betätigung bei den „Kampf gegen Rechts“-Projekten „Endstation Rechts“ und „Storch Heinar“ (ein Verballhornung der in rechten Kreisen beliebten Modemarke „Thor Steinar“). Über den peinlichen Opportunismus solcher Aktionen war er sich im klaren, doch was zählte, war Aufmerksamkeit zu erlangen. Zudem lag sein Interesse auf der analytisch-theoretischen Ebene, weshalb er auch früh davor warnte, einen „metaphysischen Nazi“ zu konstruieren und ins Zentrum des Staatsdiskurses zu rücken.
Brodkorb sieht darin ein Symptom der Auflösung der Polis und erkennt, daß der „Kampf gegen Rechts“ das Potential zum Bürgerkrieg besitzt. Als ständiger Kolumnist des Cicero seit 2019 hat er dem Magazin eine deutliche Profilschärfung verpaßt. Die enorme Resonanz auf sein neues Buch eröffnet ihm vielleicht die Chance, sich als unabhängiger politischer Analytiker zu etablieren. Dabei wandelt er auf dünnem Eis. Die Regionalpresse im Nordosten wähnt in ihm bereits den neuen Sarrazin. Vorwände, um jemand ins Abseits zu stellen, sind schnell gefunden. Deshalb wägt er bei der Wahl seiner Auftritte mögliche Risiken genau ab.