© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/24 / 15. März 2024

Frisch gepreßt

Seelische Folgen. Die medial am meisten kolportierte Erklärung für häufige und extrem blutige Gewalttaten von Zugewanderten lautet, der Täter sei „psychisch gestört“ gewesen. Was man sich darunter vorzustellen hat, versuchen ein Dutzend Psychoanalytiker in dieser Aufsatzsammlung über „Migration und Psychose“ zu erklären. Doch wenden sich ihre fachterminologisch überfrachteten Beiträge leider nicht an Laien, sondern in erster Linie an den engen Kreis von Kollegen, die ebenfalls in der psychoanalytischen Psychotherapie für „Geflüchtete“ tätig sind. Die psychischen Störungen der Mehrzahl ihrer Patienten erleben sie dabei als Folgen „individueller Belastungen im Migrationsprozeß“. Demgegenüber tritt die Erörterung von „Kultur-Konflikt-Psychosen“ in den Hintergrund, so wie sie etwa aus typischen Problemen gerade der Integration muslimischer Migranten resultieren. Warum dann der einzige Aufsatz, der sich dem Zusammenspiel von kultureller Umwelt und Psychose widmet, dieses Thema ausgerechnet am Beispiel schizophrener Psychosen von Papuavölkern präsentiert, unter denen der Hexenglaube grassiert, bleibt rätselhaft. Besser informiert sich dazu immer noch, wer den Report des Hamburger Psychotherapeuten Burkhard Hofmann „Und Gott schuf die Angst“ (JF 11/19) zu Rate zieht, der das „Psychogramm der arabischen Seele“ aus einer totalitären Religion ableitet, die ihre Anhänger nicht auf das Leben in den individualistischen Gesellschaften des Westens vorbereitet. (dg)


Ulrich Ertel u. a. (Hrsg.): Migration und Psychose. Psychosozial-Verlag, Gießen 2023, broschiert, 174 Seiten, 24,90 Euro



Bulgarien. Stoyan Raichevsky war bulgarischer Dissident und später Politiker der bürgerlichen „Union der demokratischen Kräfte“, die heute im EU-Parlament Mitglied der EVP-Fraktion ist. Er hatte bereits 2015 eine historische Abhandlung über die Entwicklung seines Heimatlandes nach 1944 unter dem sowjetischen Regime publiziert. Nun setzt er diese historische Schau bis in die Gegenwart fort. Wie die „Ostblock“-Staaten Polen und Ungarn trat auch der aus deutscher Perspektive im Windschatten dieser „Bruderländer“ stehende Balkanstaat nach 1989 den schwierigen Weg der Transformation eines kommunistischen Einparteienstaates mit verstaatlichtem Eigentum zur Demokratie an. Wegen der großen sowjetischen Abhängigkeit und enger Seilschaften zum mächtigen Geheimdienst wiesen jedoch die Postkommunisten in Bulgarien außerordentliche Beharrungskräfte auf, die den Weg in die Europäische Union und die Nato als besonders steinig gestalten sollten. Raichevsky kann dabei als politischer Gestalter und Zeitzeuge mit intimer Kenntnis aufwarten. (bä)

Stoyan Raichevsky: Bulgarien auf dem Weg zur Demokratie und die Euro-Atlantische Integration. Verlag Fanna Kolarova, Sofia 2023, broschiert, 272 Seiten, 25 Euro