© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/24 / 15. März 2024

Den Datensammlern Grenzen aufzeigen
Moritz Holzgraefe und Nils Ole Oermann legen eine grundlegende Studie über Legitimität, Demokratie und Ethik im digitalen Zeitalter vor
Felix Dirsch

Die Narrative vom „Verschwinden der Politik“ (Wolfgang Fach) und vom „Ende der Demokratie“ (Yvonne Hofstetter) sind schon etwas älter. In den letzten Jahren kristallisierte sich das Metaversum als besondere Gefahr für die Wirkmöglichkeiten der überlieferten Staaten heraus, deren Macht in der Regel an den eigenen Grenzen endet, während elektronische Netze weit darüber hinaus reichen.

Diese Beschreibung ist nicht falsch, aber unterkomplex. Zunächst stellen sich basale Fragen: Welches Verhältnis ist zwischen den Tech-Giganten und den Staaten festzustellen? Handelt es sich eher um Konkurrenten oder sind sie nicht vielmehr aufeinander angewiesen? Sind die Digitalriesen ein Staat im Staat oder eher ein Superkonstrukt über den politischen Gebilden? So oder so: Die Bedrohung für die Staatenwelt ist nicht wegzudiskutieren. Zur politischen Macht gehört essentiell das Informationsmonopol. Besonders in Krisenzeiten wie während der Corona-Pandemie, kommt es zum erbitterten Kampf um die mediale Hoheit. Dieses alte Monopol existiert faktisch nicht mehr. Längst ist bekannt, daß die sozialen Medien Wahlkämpfe entscheiden und sogar Meinungen zensieren, die zugunsten mächtiger Staatsmänner ausgelegt werden können. Digitale Plattformen sind also für die Staaten kein geringes Risiko. Bestes Beispiel dafür ist der Einfluß ausländischer Staaten mittels Software, die unschwer zum Spionageinstrument umfunktioniert werden kann.

In drei ausführlichen Kapiteln erörtern die Autoren den „Schauplatz des digitalen Geschehens“ sowie die „Beziehungs-Trias zwischen Plattformen und Territorialstaat“. Darüber hinaus ziehen sie abschließend wichtige „Schlußfolgerungen“. Sie zeigen auf, daß die Tech-Giganten ihrerseits von Territorialstaaten abhängig sind. Die Hardware befindet sich in aller Regel auf deren Gebiet. Pläne, entsprechende Stationen auf dem Meer zu installieren, um sie der politischen Gewalt zu entziehen, ließen sich bisher nicht umsetzen, zudem muß auch dieser Ort gegen Zugriff gesichert werden. Vor diesem Hintergrund sind die internationalen Informationsvermittler nicht einfach übergeordnet.

Im abschließenden Kapitel werden zehn Maßnahmen skizziert, die die Autoren verwirklicht wissen wollen. Dabei geht es nicht zuletzt um die Legitimation der Koexistenz zwischen den mächtigen Informationsdienstleistern und den politischen Hoheitsträgern, die sich ungeachtet ihres Legitimationsverlusts nicht einfach ersetzen lassen. Staatliche Souveränität und demokratische Rechtfertigung bestimmen grundsätzlich nach wie vor das Zusammenleben in der westlichen Welt und besitzen hohe Strahlkraft nach außen. Das analoge Dasein kann durch das Metaversum keineswegs substituiert werden und soll es nach überwiegender Meinung auch gar nicht. Eine befriedigende Relation zwischen diesen Sphären ist noch nicht gefunden.

Zentral ist für die Verfasser das Postulat, den Primat des Rechts im demokratischen Territorialstaat wiederherzustellen. Darauf aufbauend sind weitere Weichenstellungen gefragt, um eine nachhaltige Zukunft der Menschen angesichts der voranschreitenden Digitalisierung zu gewährleisten. Einen besseren Auftakt der notwendigen Debatte als die ertragreiche Publikation von Holzgraefe und Oermann kann man sich kaum vorstellen.

Moritz Holzgraefe, Nils Ole Oermann: Digitale Plattformen als Staaten. Legitimität, Demokratie und Ethik im digitalen Zeitalter. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2023, gebunden, 448 Seiten, 35 Euro