Nach der Auflösung der Sowjetunion kehrten die Nachfahren der 1944 von Stalin Richtung Russisch-Asien deportierten Krimtataren auf ihre heimatliche Halbinsel im Schwarzen Meer zurück. Diese war allerdings 1954 vom Stalin-Nachfolger Nikita Chruschtschow der Ukrainischen Sowjetrepublik eingegliedert worden, die sich wiederum 1991 in die unabhängige Republik Ukraine verwandelte.
Unter dieser neuen Herrschaft mündete die Rückkehr der Krimtataren nicht gerade in einem „Happy End“, wie der britische Historiker Rory Finnin (Cambridge) ungeachtet seiner ansonsten überschwappenden Sympathien für die Ukraine im allgemeinen und für das Regime des Präsidenten Wolodymyr Selenskyjs im besonderen einräumen muß. Die „Edle Ukraine“, deren Solidarität ein tatarischer Poet und Kulturfunktionär 1993 noch wortreich besang, wollte diese Freundschaft nämlich nicht so weit treiben, daß die Machthaber in Kiew ein zentrales Anliegen der krimtatarischen Bewegung verwirklicht hätten: die offizielle Anerkennung als indigenes Volk der Ukraine.
Dies geschah kurioserweise erst, als im März 2014 russische Streitkräfte die Kontrolle über die Krim übernommen hatten. Ebenso einem taktisch-propagandistischen Kalkül scheint entsprungen zu sein, daß Selenskyj Mustafa Dschemiljew, einen Gulag-Überlebenden, der jahrzehntelang für die Rückkehr seiner Landsleute gekämpft hatte, erst kürzlich zum „Helden der Ukraine“ beförderte. Die Rolle der Krimtataren bei der „ukrainischen Verteidigung der liberalen Demokratie“ sieht Finnin zudem dadurch ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, daß Selenskyj einen der ihren, den „Geschäftsmann, Aktivisten und Politiker“ Rustem Umjerow, im September letzten Jahres zum Verteidigungsminister ernannte.
Von Ludendorffs Kolonialstaat bis zum NS-„Gotengau“
Das dem 10. Jahrestag der russischen Besetzung der Halbinsel gewidmete, von Deutschen, Ukrainern und dem Briten Finnin bestückte Themenheft der Bundeszentrale für politische Bildung zeugt durchgehend vom grassierenden antirussischen Furor. Objektive Darstellungen zur Geschichte der Krim und zu den aktuellen Entwicklungen seit 2014 sind darum in einem solchen „Vorkriegsklima“ kaum zu erwarten. Die Rußlandfeindschaft setzt nur dort einmal kurz aus, wo Bert Hoppe an unrühmliche deutsche Interventionen erinnert, die sich in die Vergangenheit der Krim tief eingeschrieben hätten. Hoppe, 1999 an der HU Berlin über die sowjetische Geschichte von Königsberg/Kaliningrad nach 1945 promoviert, heute am Zentrum für Holocaust-Studien des Instituts für Zeitgeschichte tätig, skizziert Erich Ludendorffs Mitte 1918 schon surreale Planungen für einen aus der Krimrepublik und dem ukrainischen Gouvernement Taurien zu formenden tatarisch-deutschen Kolonialstaat einerseits und die nur mittels Völkermord zu realisierenden NS-Phantasien über einen „Gotengau“ auf der Krim andererseits.
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