© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/24 / 15. März 2024

Den Deutschen fehlt für die „Zeitenwende“ das Bewußtsein
Mental nicht kriegstüchtig

In seiner Regierungserklärung vom 27. Februar 2022 setzte Bundeskanzler Olaf Scholz den Ukraine-Krieg mit einer Zeitenwende in der Geschichte Europas gleich. Der Begriff provozierte zahllose Deutungen, wurde 2022 zum „Wort des Jahres“ gekürt und gilt mittlerweile als Markierung für das Ende der „liberalen, regelbasierten Weltordnung“. Die „Völkerrechtswidrigkeit des russischen Angriffskriegs“ reicht dem emeritierten Völkerrechtler Meinhard Schröder (Uni Trier) jedoch nicht aus, um dieses unabgeschlossene Geschehen als Zeitenwende zu kategorisieren (Journal der Juristischen Zeitgeschichte, 3/2023). Denn Verletzungen des völkerrechtlichen Gewaltverbots der UN-Charta habe es seit 1945 mit unterschiedlicher Intensität gegeben. Das Novum im Falle des Ukraine-Kriegs liege darin, daß Rußlands Angriff einen Krieg in Europa auslöste, der einen souveränen Staat auslöschen soll. Aber erst in Verbindung mit verteidigungspolitischen Kurswechseln wie den Entscheidungen, Waffen en gros ins Kriegsgebiet Ukraine zu liefern, die Bundeswehr aufzurüsten und Energieimporte aus Rußland zu boykottieren, gewinne diese Politik Dimensionen einer Zeitenwende. Was jetzt noch fehle, sei das „neue Bewußtsein“ der Deutschen, diese „mitzutragen“, einschließlich der Sorge um die Eskalation des Krieges zum atomaren Konflikt. (ob)  www.degruyter.com