Das Internet ist nicht der geeignetste Ort für sensible Geister. Der Bürger wird dort mit harten Drogen, Pornographie oder auch Propaganda von Terrororganisationen konfrontiert. Der Bereich, welcher Politiker in der jüngeren Vergangenheit allerdings besonders besorgt, ist „Haß im Netz“.
Dieses Gefühl der äußersten Abneigung wird immer häufiger hinter Netzbeiträgen vermutet, die sich inhaltlich von Narrativen der Regierung und linker Debattenteilnehmer abwenden. Die vermeintliche Bedrohung kommt in Form von TikTok-Videos, Instagram-Postings oder anderen Social-Media-Beiträgen daher – und sie kommt selbstverständlich von rechts. Der Kampf gegen Haß ist gleichbedeutend dem „Kampf gegen Rechts“. Und dieser gilt künftig nicht nur vermehrt unliebsamen privaten Internetnutzern, sondern auch Parteien wie der AfD.
Auftrieb für die Regulierungsbefürworter gibt es in Form der Studie „Lauter Haß – leiser Rückzug. Wie Haß im Netz den demokratischen Diskurs bedroht“ vom Kompetenznetzwerk gegen Haß im Netz, vorgestellt von Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Aufgrund der zunehmenden Anfeindungen im Netz zögen sich immer mehr Bürger aus den Debatten zurück: „Ob toxische Kommentare, Drohungen, beängstigende Kampagnen: Haß im Netz ist allgegenwärtig. Viele Menschen sind davon abgestoßen oder eingeschüchtert, halten sich zurück oder schweigen“, sagt Paus. Betroffen seien vor allem Minderheiten. Der Umkehrschluß – klar: Haß und digitale Gewalt sind rechts. Eine aktuelle Bertelsmann-Studie flankiert das Vorgehen ebenfalls und verweist darauf, daß 84 Prozent der Deutschen „in Desinformation eine Gefahr für Demokratie und Zusammenhalt“ sehen.
Der Widerstand von Bundesinnenministerin Nancy Faeser kommt daher in Form eines Maßnahmenplans gegen Rechtsextremismus, den sie vergangenen Monat gemeinsam mit Holger Münch, dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes und Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang vorstellte. Darin heißt es: „Die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet beim Bundeskriminalamt wird weiter ausgebaut.“ Zudem sollen rechtsextremistische Inhalte aus dem Internet entfernt werden. Das BKA habe die Bekämpfungsstrategien und -instrumente weiterentwickelt und sich besser aufgestellt, „um etwa im digitalen Raum den Verfolgungsdruck zu erhöhen.“
Nach etwa zweieinhalb Jahren Ampel-Regierung kann sich das Waffenarsenal gegen rechte Internetrowdys und Co. somit wahrlich sehen lassen. Es erscheint in Form von wohlfinanzierten NGOs und Vereinen, die den Kampf bereitwillig mit Studien und Umfragen unterstützen und sich in ihrer Arbeit vordergründig auf rechte Umtriebe fokussieren.
Paus plädierte nicht nur deshalb für eine zügige Verabschiedung ihres sogenannten Demokratiefördergesetzes: „Im Gespräch mit Mitgliedern des Kompetenznetzwerks Rechtsextremismusprävention informierte sich Paus über die aktuelle Bedrohungslage für zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure“, heißt es auf der Website des Ministeriums. Zu diesem Netzwerk gehört neben dem Verein „Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland“ oder der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche & Rechtsextremismus auch die seit Jahren steuerfinanzierte Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS).
Diese macht keinen Hehl daraus, wen sie mit ihrer Definition von Haß bekämpfen möchte. Den hauptsächlich von Akteuren der AfD mitgetragenen „Stolzmonat“ bezeichnet sie in einer Veröffentlichung zu „Memes in extrem rechter Internetkommunikation“ als „Mitmachfaschismus“. An dem beteiligt hätten sich „rechtsalternative Trolle, extrem rechte Politstrategen und Influencer, AfD-Funktionäre, Mitglieder der Jungen Alternativen und andere Akteure, die dem Umfeld der selbsternannten „Neuen Rechten“ zuzuordnen seien.
Willkür und Einseitigkeit statt Meinungsvielfalt
Daß vor allem das Treiben auf socialen Medien wie TikTok die linken Akteure beschäftigt, ist nicht verwunderlich, schließlich hat die AfD dort enormen Erfolg. Nach ausbleibenden Einladungen für Talksendungen des Polit-Establishments sucht sie sich ihren Weg, wo sie medial stattfinden kann. Die Partei weiß um das Potential und setzt es um.
Zum einen ist das AfD-Personal im allgemeinen deutlich engagierter als das der anderen Parteien und verfügt über weitaus mehr Accounts, zum anderen ist auch die Umsetzung gelungen: Kurze, prägnante Botschaften, verknüpft mit Bürgerdialog, Bashing des politischen Gegners und auch längeren Informationsbeiträgen. Selbst ARD-„Tagesschau“ und ZDF-„Heute“ berichteten jüngst über den Erfolg der Partei auf TikTok – bei der „Tagesschau“ unter dem entlarvend einseitigen Titel „Haß und Hetze: rechte Propaganda in sozialen Netzwerken“. Auch Moderator Jan Böhmermann zeigte sich in seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“ erbost darüber, daß die AfD auf TikTok dreimal soviel Reichweite hat wie alle anderen Parteien zusammen. Daß sich auch Medien an dem Kampf gegen rechte Social-Media-Beiträge beteiligen, ist seit Jahren eingeübt. Bereits 2020 veröffentlichte „Correctiv“ eine Recherche mit dem Namen „Kein Filter für Rechts“ und spricht dort von Haß, der in Form von Hashtags wie #heimatverliebt „gut getarnt“ sei. Die benannten Akteure sind etwa Aktivisten der Identitären Bewegung oder harmlose Polit-Influencer wie Anabel Schunke, die unter Generalverdacht gestellt werden.
Im Zuge der anstehenden Landtagswahlen im Osten erlebt dieses politisch-mediale Vorgehen Hochkonjunktur – die jüngste „Correctiv“-Verschwörunggeschichte ist dazu Beweis genug (JF 11/24). Jedoch sind auch die Europawahlen Anlaß, um auch auf EU-Ebene noch einmal akribischer vorzugehen: Seit dem 17. Februar ist der Digital Services Act (DSA) offiziell in allen EU-Staaten voll anwendbar (JF 9/23) und soll in Zukunft „die Verbreitung von Falschinformationen stärker unterbinden und die Algorithmen hinter der Priorisierung von Inhalten und personalisierter Werbung zum Teil offenlegen“. Betreiber von sozialen Plattformen müssen dann etwa „zeitnah, sorgfältig, frei von Willkür und objektiv“ über die gemeldeten vermeintlichen Haßinhalte entscheiden. Die großen „Gatekeeper“ wie Meta oder X, die schon in der Vergangenheit durch willkürliches Löschverhalten in Erscheinung getreten sind, könnten so bald häufiger neben Politik, Vereinen und Medien als viertes Standbein des Anti-Rechts-Kampfes in Erscheinung treten. Beunruhigende Zukunftsmusik, denn: Die vielseitigen Vorstöße gegen angebliche Haß und Hetze, ob inländisch oder auf europäischer Ebene, sind als Mittel zum Machterhalt weitere Waffen, um Kritiker zu überwachen und zu denunzieren. Wie etwa Artikel 5 des Grundgesetzes ausgelegt wird, entscheiden dann nicht mehr Gerichte. Ohne daß der „Haß“ beziehungsweise die Meinung justitiabel wären: Betroffen sein kann jeder, der kritisiert.
Die Bekämpfung des politischen Gegners fängt dann nicht bei Martin Sellner an und endet beim konservativsten CSU-Politiker. Der gesamte politische Gegner soll öffentlich mundtot gemacht, die linke Begriffshegemonie weiter ausgebaut werden. Zwischen rechts und rechtsextrem wird jetzt schon kaum mehr unterschieden. „Haß“ ist fast alles, was nicht der Regierungsmeinung entspricht und ebenso vieles, was sich rechts der Unionsparteien formiert. Der Vielfalt folgen letztlich Willkür und Einseitigkeit.