© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/24 / 15. März 2024

Lieben und leiden mit Dora Diamant
Kino I: Die ergreifende Literaturverfilmung „Die Herrlichkeit des Lebens“ handelt von Kafkas letzter Gefährtin und seinem Tod
Dietmar Mehrens

Diese Liebesgeschichte ist so traurig und anrührend, daß es erstaunlich wäre, wenn nicht irgendwann ein Film oder ein Roman daraus geworden wäre. Tatsächlich geschah beides. 2011 erschien Michael Kumpfmüllers wunderbar poetischer Roman „Die Herrlichkeit des Lebens“, und jetzt, dreizehn Jahre später, kommt dessen Verfilmung in die Kinos.

Ein einfühlsames Porträt zweier, die sich viel zu spät fanden, aber alles daraus machten: so könnte man Kumpfmüllers hart an Franz Kafkas Biographie orientierten Roman zusammenfassen. Er handelt von Kafkas letzter Liebe, der zu der Ostjüdin Dora Diamant. In drei Teilen, „Kommen“, „Bleiben“ und  „Gehen“, schilderte der durch „Hampels Fluchten“ bekannt gewordene Autor eine Geschichte von Liebe und Finsternis, von spontanem Zutrauen und schweren Prüfungen. Die Herrlichkeit des Lebens liegt bereit, man muß sie nur zu sich kommen lassen. So lautet die für den Titel von Roman und Film offerierte Deutung.

Kafkas Gesundheitszustand verschlechtert sich rapide

Beide beginnen 1923 im Ostseebad Müritz, wo der schwindsüchtige Schriftsteller, gespielt von Sabin Tambrea, sich erholen, frische Luft schnappen soll. „Onkel Franz, erzählst du uns eine Geschichte?“ betteln die Kinder seiner Schwester Elli, die den noch weitgehend unbekannten Autor begleitet, den etwas geheimnisvollen, aber gutmütigen jungen Mann immer wieder an. Auch die ebenso schöne wie intelligente Dora Diamant, eine fromme polnische Jüdin, die als Köchin in einem Freizeitheim arbeitet, wird auf den schüchtern wirkenden Eigenbrötler aufmerksam und kann sich seinem eigentümlichen Charisma bald nicht mehr entziehen. Eine Liebesgeschichte beginnt, die um so intensiver wird, je mehr Dora spürt, daß Franz sie braucht. „Dora ist stark“, wird die im Werden begriffene Literaturlegende später über sie sagen, „vor ihr muß ich mich nicht verstecken.“

„Können Sie toter Mann?“ fragt die vierzehn Jahre jüngere Frau ihre Urlaubsbekanntschaft, nachdem die beiden spontan in die Ostsee gesprungen sind. Wenn man sich rücklings von den Wellen tragen läßt, nennt sie das „toter Mann spielen“. Es ist natürlich ein gefährlich doppelbödiger Satz angesichts der tödlichen Krankheit, an der Kafka leidet. Aber zu diesem Zeitpunkt ahnt Dora davon nichts. In Müritz erscheint der Frühpensionär noch vergleichsweise vital, kann schwimmen gehen, macht lange Spaziergänge mit der attraktiven jungen Dame.

Dem Trio Georg Maas/Judith Kaufmann (Regie) und Michael Gutmann (Drehbuch) gelingt es, den lakonisch-melancholischen Ton der Vorlage sehr genau zu treffen. Mit Sabin Tambrea, der schon in der Hesse-Verfilmung „Narziß und Goldmund“ (JF 12/20) sein Faible für die deutsche Literatur unter Beweis stellte, und Henriette Confurius (kürzlich erst in dem ZDF-Gerichtsdrama „Sie sagt. Er sagt.“ nach Ferdinand von Schirach zu sehen) haben sie hervorragende Darsteller für die beiden Protagonisten dieser Liebes- und Leidensgeschichte gefunden.

Als für den Kränkelnden der Urlaub endet und die beiden frisch Verliebten sich trennen müssen, ist klar: Diese Trennung muß so schnell wie möglich wieder vorbei sein. Kafka beschließt, sich in Berlin eine Wohnung zu nehmen, in Doras Nähe. Dort ist sie fast immer bei ihm. An der wilden Ehe, die daraus zwangsläufig resultiert, nimmt die Vermieterin Anstoß und schikaniert das Paar.

Max Brod (Manuel Rubey), der in Berlin eine Geliebte namens Emmi hat, schaut hin und wieder vorbei, um die Stimmung aufzuhellen. Der Schriftstellerkollege und treue Freund des Dichters ermutigt Dora, auf eine Eheschließung hinzuwirken. Er sieht, daß Franz ohne Dora vielleicht schon gestorben wäre. Doch Kafka fürchtet nach den Enttäuschungen mit Frauen, die er bis zu diesem Zeitpunkt erlebt hat, „für die Ehe nicht geschaffen“ zu sein. Als sich wegen der schlecht beheizten Wohnung im Winter 1923/24 der Gesundheitszustand des Tuberkulosepatienten rapide verschlechtert, müssen er und Dora eine Entscheidung treffen. 

Der Aufenthalt in Berlin läßt sich nicht mehr rechtfertigen, als Kafkas Onkel, ein Arzt, sich von dem miserablen Gesundheitszustand des Schwindsüchtigen überzeugt hat. Es folgt eine für Dora kaum zu ertragende Zeit der Trennung, weil Kafka nach Prag zurückkehrt. Der Onkel beschafft ihm einen Platz in einem Wiener Sanatorium. Dora reist ihm nach. In Österreich sind es noch einmal drei Stationen, ehe Kafka, der am Ende, nachdem die Tuberkulose seinen Kehlkopf befallen hat, weder sprechen noch essen kann, seine letzten Tage in einer Heilanstalt nahe Wien verbringt.

So jedenfalls schildert es die sehr akribisch alle Bewegungen des Todkranken rekonstruierende Romanvorlage. Doch Maas, Kaufmann und Gutmann verkürzen die Leidenszeit der Liebenden, lassen einige Umzüge und vor allem die dritte Station des Romans, Kafkas Aufenthalt in einem Wiener Sanatorium, unter den Tisch fallen. Dafür nehmen sie die folgenreiche Entscheidung Max Brods, Kafkas Werke nicht zu vernichten, stärker in den Blick. Eine nachvollziehbare Entscheidung. Denn anders als der Roman ist der Film an der Stelle, an der das Regie-Gespann ihn enden läßt, auserzählt. Und ohne Max Brods Entscheidung hätte es diesen Film vermutlich nie gegeben.