Die Verschmelzung von Kunst und Politik hinterläßt häufig einen schalen Beigeschmack. Zwar ist es nicht ungewöhnlich, daß Politisches in künstlerische Werke hineinschimmert und von der Kunst verarbeitet wird. Schließlich leben Künstler in einer jeweils besonderen Zeit mit ihren jeweils besonderen gesellschaftlichen Bedingungen und Zwängen. Und schließlich leiden Künstler auch unter den Zumutungen ihrer Zeit, versuchen diese also häufig über das Mittel ihrer Kunst zu verarbeiten. Doch kann solche Verarbeitung von der subtilen Thematisierung bis zur plakativen Anklage reichen. Ein negatives Beispiel der zweiten Kategorie ist das jahrzehntelange SPD-Mitglied Klaus Staeck, dessen Plakat-Collagen meist auf eine einfache, sozialdemokratisch zurechtgezimmerte Pointe hinauslaufen.
Der französische Graphiker Honoré Daumier (1808–1879), dem sich eine aktuelle Schau im Frankfurter Städel-Museum widmet, näherte sich bisweilen stark dieser Grenzlinie zur plumpen politischen Agitation. Daß er sie nicht zu weit überschritt, hatte äußere und innere Gründe. Zum einen unterlag die französische Kunst teils staatlicher Zensur, so daß Daumier einige Arbeiten nicht veröffentlichen konnte. Das mochte etwas zügelnd auf ihn gewirkt haben. Zum anderen besaß Daumier, im Gegensatz zu vielen heutigen Agitatoren, noch künstlerische Qualität.
Er wurde zu einer Haftstrafe
von sechs Monaten verurteilt
Diese zeigt sich gerade in seinen unpolitischen Werken, von denen einige in der Frankfurter Schau zu sehen sind. So zum Beispiel in der Szenerie dreier hintereinander hergehenden Passanten in dem Aquarell „Auf der Straße“, das wie eine Vorwegnahme späterer anspruchsvoller Comic-Kunst wirkt. Ähnlich die eindringliche Zeichnung „Aussage einer Minderjährigen“, in der ein schmales Kind wie die reine Unschuld von hellem Licht aus einem Fenster angestrahlt und vor einem einschüchternd wirkenden Richter-Podest befragt wird. Düster wirkt dagegen die Federzeichnung „Zwei Trinker“, in der sich zwei Männer in einer verrauchten Spelunke gegenübersitzen.
In die Abstraktion gleitet dann schon die Kohlezeichnung von „Don Quijote und Sancho Pansa“, die der Sonne entgegen reiten. Hinzu kommen Alltagsszenen, zum Beispiel aus Opernhäusern, und Porträts kauziger Typen. Dazu zählt ein „eingebildeter Kranker“ der mit aufgerissenen Augen über sein Elend sinniert. Ebenso zwei „Landschaftsmaler bei der Arbeit“, die ihre Leinwände verwaisen lassen, während sie sich faul auf einer Wiese lümmeln.
Bisweilen erinnern die Darstellungen an den zur gleichen Zeit tätigen deutschen Maler Carl Spitzweg. So erscheint die 1847 gedruckte Lithographie „This robber of a landlord“ wahrlich direkt bei Spitzwegs „Armem Poet“ von 1839 abgekupfert. Auch hier liegt ein mit Zipfelmütze bekleideter Mann in einer Dachkammer und hat den Schirm aufgespannt, weil es durch die undichte Decke regnet. Der humorvolle Umgang mit Figuren der antiken Mythologie schließlich erscheint wie ein Vorgriff auf die 1950er und 1960er Jahre, als derlei ein beliebtes Sujet darstellte, bis das allgemeine Wissen über Athen und Rom versandete.
Den Hauptteil der Ausstellung machen indes Daumiers politische Zeichnungen und Karikaturen aus. 1808 in Marseille in eine arme Handwerkerfamilie geboren, fand er ab 1822 Kontakt zu Malern und Lithographen. Ab 1830 begann er für Charles Philipons Zeitung La Caricature zu arbeiten, einem Blatt der republikanischen Opposition. Das brachte Daumier bald in Konflikt mit der Regierung des damals herrschenden „Bürgerkönigs“ Louis-Philippe, wofür Daumier sogar zu einer Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt wurde. 1848 wurde Louis-Philippe gestürzt, und nach vier Jahren der zweiten Republik ernannte sich Präsident Louis-Napoléon Bonaparte zum Kaiser Napoleon III. Erneut geriet Daumier in Konflikt mit einer französischen Regierung und deren Zensurbehörden. So wurde Daumier ein kritischer Begleiter des napoleonischen Systems, dessen Ende 1870 er noch neun Jahre überleben sollte, zuletzt erblindet und verarmt.
Die so entstandenen politischen Karikaturen ermöglichen es Besuchern mit kritischem Blick, zahlreiche Analogien zur Gegenwart zu finden. Da ist die Bräsigkeit der selbstzufriedenen Parlamentarier, die er in zahlreichen Zeichnungen und Kleinplastiken verhöhnte. Das ging bis zur Darstellung von König Louis-Philippe als Birne. Der gleiche Hohn über Bundeskanzler Helmut Kohl 150 Jahre später war also nur eine billige Kopie der linken Szene. Das „Europäische Gleichgewicht“ wurde als wackeliger Tanz auf einer Kanonenkugel dargestellt. Treffender könnte man auch die heutige weltpolitische Lage kaum darstellen. Und als Symbol der Schlägertruppen des napoleonischen Regimes, die das Volk einschüchtern sollten, wählte Daumier die Figur des Ratapoil („haarige Ratte“), die ihren Schlagstock als seriösen Gehstock tarnt. Der Vergleich zur Gegenwart und ihrem „Kampf gegen Rechts“ drängt sich regelrecht auf.
Die Ausstellung „Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig“ mit rund 120 Werken ist bis zum 12. Mai im Städel-Museum, Schaumainkai 63, Frankfurt am Main, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr, zu sehen. Tel: 069 / 60 50 98-200 Der Katalog (Hirmer-Verlag) mit 240 Seiten und etwa 170 Abbildungen kostet im Museum 35 Euro. www.staedelmuseum.de
Honoré Daumier (1808–1879), Équilibre européen (Europäisches Gleichgewicht), Kreidelithographie, 1867: Wackeliger Tanz