© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/24 / 15. März 2024

Plötzlich ist die EU-Armee wieder im Gespräch
Die EU-Kommission stellt neue Verteidigungsstrategie vor: Brüssel will gegenüber Moskau und Trump gerüstet sein
Paul Leonhard

Die Zeit drängt. Geht es nach dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, dann ist es jetzt Zeit, daß Europa mehr und koordiniert in Verteidigung investieren muß. „Eine starke, widerstandsfähige und wettbewerbsfähige europäische Verteidigungsindustrie ist ein strategisches Gebot und eine Vorbedingung, um unsere Verteidigungsbereitschaft zu verbessern“, erklärte der Spanier, und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen pflichtete ihm im Onlinedienst X bei: Bei Verteidigungsausgaben müsse „besser und europäisch“ vorgegangen werden, so die CDU-Politikerin. 

Die Mitgliedsstaaten sollen mindestens 40 Prozent ihrer Verteidigungsausrüstung gemeinsam kaufen und bis 2030 mindestens die Hälfte, ab 2035 60 Prozent ihres Militärbudgets innerhalb der EU ausgeben – auch um die ins Hintertreffen geratenen europäischen Rüstungsfirmen zu stützen und Arbeitsplätze zu sichern. So sieht es das neue Europäische Verteidigungsindustrieprogramm (European Defense Industry Programme) vor, das jetzt als Gesetzentwurf den Mitgliedsstaaten zur Abstimmung vorliegt.

Die Unabhängigkeit Europas von Rüstungsproduzenten in den Vereinigten Staaten, Südkorea, aber auch Israel, Großbritannien und der Türkei, ist der Kernpunkt einer neuen europäischen Verteidigungsstrategie. Und natürlich geht es auch um den Aufbau der lange von Großbritannien blockierten EU-Armee.

 Ein Ziel, das beispielsweise eine Parlamentsarmee wie die deutsche sowie neutrale Länder wie Österreich und Irland vor erhebliche rechtliche Probleme stellt. Umstritten dürfte auch von der Leyens Ziel sein, die EU immer stärker in den Rußland-Ukraine-Krieg zu führen, wie die Installation eines Verteidigungskommissars und eines Büros für Verteidigungsinnovation in Kiew – als Teil der EU-Verteidigungsstrategie. Überhaupt soll die Ukraine „quasi wie ein Mitgliedsland“ in die Rüstungspläne eingebunden werden, zitieren Medien einen namentlich nicht genannten Kommissionsbeamten.

Aus Angst vor einem russischen Angriff und einem Nato-Austritt der USA versuchen viele Länder aufzurüsten. Inzwischen gehört es zu den Hauptproblemen europäischer Armeen, die in der ganzen Welt zusammengekauften Waffensysteme miteinander zu koordinieren. Eine Zusammenarbeit oder gar Absprachen gibt es bisher kaum, europäische Waffenschmieden bleiben häufig außen vor.

Südkorea als Vorbild für eine europäische Rüstungsindustrie?

Eine Ausnahme stellt Ungarn dar, wo Rheinmetall für 288 Millionen Euro mit der Entwicklung und Produktion einer neuen Version des Kampfpanzers Panther KF51 beauftragt wurde, und in Zalaegerszeg den Schützenpanzer Lynx und andere Ketten- und Radfahrzeuge für die ungarischen Streitkräfte produziert. „Wir stellen Luchse her, wir kaufen Leoparden und wir haben uns an der Entwicklung des Panthers beteiligt“, erklärte Ministerpräsident Viktor Orbán.

Polen dagegen, das bis 2035 über die stärkste Landarmee Europas verfügen will  – Rußland zählt für Warschau nicht zu Europa – , kauft in Südkorea ein, dessen Rüstungsgüter als günstig, Nato-kompatibel und schnell verfügbar gelten. So wurden 1.000 Kampfpanzer des Typs K2, 672 K9-Panzerhaubitzen, 288 Raketenwerfer des Typs K239 Chunmoo, 48 FA-50-Kampfjets für insgesamt 15 Milliarden Dollar geordert. Und in den USA bestellte Warschau 96 Apache-Helikopter für 12 Milliarden Dollar und 366 Abrams-Kampfpanzer inklusive Ausbildung, Ersatzteilen und Wartung für sieben Milliarden Dollar.

Aktuell fließen knapp 80 Prozent der Mittel in Länder außerhalb der EU und allein 60 Prozent in die USA, beklagt EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager: „Das ist nicht mehr tragbar, wenn es überhaupt jemals tragbar war.“