© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/24 / 15. März 2024

„Unser Land ist aufgewacht“
Portugal: Während die etablierten Parteien stagnieren oder erheblich Federn lassen, setzt die rechte Chega zum Höhenflug an
Felix Hagen

Der Spitzenkandidat der portugiesischen Rechtspartei Chega, André Ventura,  strahlte übers ganze Gesicht, als er sich bei seinen Wählern und Unterstützern bedankte: „Gestern ist Portugal aufgewacht und hat sich verändert, jetzt haben wir viel Arbeit und viel Verantwortung. Ihr könnt auf uns zählen!“ 

Ventura hat Grund zur Freude. Als einzige der angetretenen Parteien konnte sich seine Chega über einen satten Zugewinn freuen: von 7,2 Prozent 2022 (12 Sitze) auf 18,1 Prozent 2024 (48 Sitze) – kein Wunder also, daß der Jurist und Buchautor breit grinsend in den Medien von einer „Zeitenwende“ in Portugal spricht. Bei seinen Konkurrenten hingegen herrscht Ernüchterung. Sowohl die sozialdemokratische PS als auch die vergleichsweise konservative PSD verloren an Boden. Konnte sich die PSD mit einem Stimmenverlust von einem Prozentpunkt und noch knapp 29,5 Prozent (179 Sitze) als stärkste Partei behaupten, stürzte die PS von über 40 auf 28,6 Prozent (77 Sitze) ab. 

Wie stabil ist die „Brandmauer“ gegenüber der Chega?

Eine Enttäuschung, die weitreichende Folgen nach sich ziehen wird. PSD und PS trennen im Parlament lediglich zwei Sitze, auf diverse linke Kleinparteien entfallen gemeinsam weitere 14 Sitze, auf die liberale Kleinpartei IL acht Sitze. Theoretisch hätte der Spitzenkandidat der PSD Luís Montenegro gemeinsam mit der Chega eine komfortable Mehrheit von 127 Sitzen für eine Mitte-Rechts-Koalition im Parlament, doch galt für Montenegro vor den Wahlen ganz klar eine „Brandmauer“ gegen die rechte Konkurrenz. 

Die Konsequenz daraus könnte eine große Koalition sein, mit der Chega als Oppositionsführerin. Für die stets betont gemäßigte und staatstragende PSD eine Wahl zwischen „Skylla und Charybdis“ wie es ein Mitarbeiter eines PSD-Parteivorstandes gegenüber der JUNGEN FREIHEIT ausdrückt. Man habe in Europa „gesehen, daß große Koalitionen langfristig beiden Parteien schaden“. Auf der anderen Seite treibt die Möglichkeit einer „Legitimierung der Chega“ durch eine Koalitionsbeteiligung nicht nur den Konservativen den Angstschweiß auf die Stirn. Besonders die radikale Linke fürchtet einen „gesellschaftlichen Rollback“, wie ihn die Chefin des kleinen linken Bündnisses BE, Mariana Mortágua, im Vorfeld der Wahl für den Fall einer rechten Machtbeteiligung ankündigt hatte. Für Mortágua und ihre Partei dürfte der Chega-Wahlerfolg besonders schmerzhaft sein. Bisher konnte ihre Kleinpartei stets als Mehrheitsbeschaffer der großen PS auftreten und dabei mitunter erstaunliche programmatische und personelle Zugeständnisse erwarten; mit dem neuen Königsmacher der Chega dürfte diese Zeit vorbei sein. 

Daß bisher noch kaum Details zu den Verhandlungen zwischen der PSD und weiteren Parteien nach außen gedrungen sind, dürfte also vor allem an dieser schwierigen Gemengelage liegen. Das Bekenntnis von Montenegro, wieder mit der liberalen IL zusammenarbeiten zu wollen, bezeichnen viele Beobachter der politischen Lage als irrelevant. Die liberale Kleinpartei kommt auf lediglich acht Sitze, gemeinsam mit den 79 der PSD wäre man immer noch weit entfernt von der nötigen Mehrheit – die liegt bei 113 Sitzen. 

Innerhalb der PSD wächst nun der Druck auf Montenegro, doch Gespräche mit Ventura hinsichtlich einer wie auch immer gearteten Unterstützung zu führen. Dabei hatte der die rechte Konkurrenz im Vorfeld der Wahl als „xenophob und rassistisch“ gebrandmarkt. Eine schwere Hypothek, die einer gedeihlichen Zusammenarbeit im Weg stehen dürfte. Ungemach droht allerdings auch von seiten einer eigentlich neutralen Instanz der portugiesischen Politik. Präsident Marcelo Rebelo de Sousa kündigte an, er werde „alles in seiner Macht stehende“ tun, um eine Regierungsbeteiligung der Rechten zu verhindern – ein offener Bruch mit dem Neutralitätsgebot der Verfassung und Anlaß zu einer scharfen Erwiederung von Chega-Chef Ventura: „In Portugal“ so Ventura, „wählt nicht der Präsident die Regierung, sondern die Wähler“.  Kommentar Seite 2