Von dem Bundestagsabgeordneten Karl-Heinz Stiegler ist nur eine einzige Rede überliefert: „Politik bedeutet, und davon sollte man ausgehen, das ist doch – ohne darum herumzureden – in Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden“, hob er an, um klipp und klar festzustellen: „Wer hat denn, und das muß vor diesem Hohen Hause einmal unmißverständlich ausgesprochen werden.“ Die verdiente Prominenz blieb dem Volksvertreter trotz des rhetorischen Glanzstücks allerdings verwehrt. Das liegt maßgeblich daran, daß es sich bei Stiegler um eine Kunstfigur, eine Erfindung des legendären Komikers Loriot handelte. Der karikierte mit den verschachtelten Sätzen, die sämtlich im semantischen Nichts enden, auf höchst amüsante Weise das typische Polit-Blabla.
Insofern könnte die unechte Rede als abschreckendes Beispiel für echte Debattenbeiträge im Parlament herhalten. Denn deren Verständlichkeit haben Wissenschaftler der Universität Hohenheim untersucht und nun ihre Ergebnisse vorgelegt. Als Grundlage dienten den Experten 96 Reden, die Anfang September vergangenen Jahres im Bundestag während der ersten Lesung des Bundeshaushalts 2024 gehalten wurden. Bewertet wurde dabei nicht der Inhalt der Beiträge, sondern nur die formale Verständlichkeit anhand eines eigens ausgearbeiteten Indexes. In den fließen unter anderem die durchschnittlichen Satz- und Wortlängen ein, wobei in der Kürze die Würze liegt. Am häufigsten gegen Verständlichkeitsregeln wird verstoßen, indem die Redner Fremd- oder Fachwörter benutzen, Anglizismen und „Denglisch“ verwenden und zusammengesetzte Wörter oder zu Nomen verwandelte Verben wählen. Die Hauptsünde jedoch: „lange Monster- und Bandwurmsätze“, zuweilen mit über 60 Wörtern, wie die Hohenheimer Forscher monierten.
Im Parteienvergleich schnitt die inzwischen aufgelöste Linksfraktion am besten ab, dicht gefolgt von der Union. An dritter und vierter Stelle liegen SPD und AfD, die Grünen bilden das Schlußlicht hinter der FDP. Unter den debattierenden Politikern schnitt Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) im Gesamtvergleich am besten ab, gefolgt von Jens Spahn (CDU). Doch wie der Spitzen- gehört auch der letzte Platz einer Liberalen: Claudia Raffelhüschen, die zum Etat des Familienressorts sprach.
Bei den Kabinettsmitgliedern folgen Stark-Watzinger die Kollegen Robert Habeck (Grüne) und Hubertus Heil (SPD) auf den Plätzen 2 und 3. Am Ende der Skala rangiert Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). In den Debatten um die Einzelpläne Justiz und Inneres haben es die AfD-Abgeordneten Michael Espendiller und Gottfried Curio an die Spitze der Verständlichkeit geschafft. Rot angestrichen wurden beim Kanzler die Wörter „Anpassungskrise“, „Clean-Tech“ und „Don’t forget, never forget“. Mit „incentiviert“ griff Robert Habeck daneben, mit „Aufschuldungsrisiko“ Peter Boehringer (AfD).
Was würde Karl-Heinz Stiegler dazu meinen? „Und ich glaube, Sie stimmen mit mir überein, wenn ich sage: Letzten Endes, wer wollte das bestreiten!“