Deutschland müsse endlich „im großen Stil abschieben“, bekannte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im vergangenen Herbst. Seitdem hat sich durchaus etwas getan. Die Zahl der ausreisepflichtigen Ausländer ging 2023 auf 242.642 zurück – im Vergleich zum Vorjahr eine Reduktion um 20 Prozent, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Gottfried Curio (AfD) hervorgeht. Damit kann der Kanzler auf dem Papier zwar einen Erfolg vorweisen, seine Ankündigung umzusetzen vermochte er dennoch nicht.
Denn abgeschoben wurden lediglich 16.430 Personen, von denen rund 5.000 an einen anderen EU-Mitgliedsstaat überstellt wurden. Am häufigsten wurden Georgier (1.505) aus Deutschland ausgewiesen. Es folgen türkische Staatsangehörige (1.229) und Afghanen (1.208). Im Gesamtjahr 2023 buchte die Bundespolizei 204 Charterflüge, um insgesamt 6.723 Personen zurückzuführen. Auf jede erfolgreiche Abschiebung kommen jedoch zwei Versuche, die scheiterten. So konnten den Angaben der Bundesregierung zufolge 31.330 geplante Rückführungen nicht stattfinden.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Sei es, daß Fluggesellschaften, Reedereien oder Fahrzeugführer die Mitreise der Ausreisepflichtigen verweigerten (230mal) oder die Betroffenen (295) gegen ihre erzwungene Heimreise Widerstand leisteten. Hauptgründe sind jedoch Stornierungen der Abschiebegesuche, etwa weil der Flug kurzfristig gestrichen wurde. Oder aber die Übergabe des abzuschiebenden Migranten durch die dafür zuständigen Landesbehörden an die Bundespolizei scheiterte. Ein Drittel der gescheiterten Abschiebungen hätte im Auftrag des Landes Berlin stattfinden sollen.
Noch drastischer fällt die Differenz zwischen Theorie und Praxis bei geplanten Überstellungen von Asylbewerbern an andere EU-Mitgliedstaaten aus. Nur 5.000 von 56.000 vorgesehenen Übergaben, also weniger als ein Zehntel, glückten. Nach der Dublin-Verordnung müssen Asylbewerber in dem Mitgliedsstaat ihren Antrag stellen, in dem sie ankommen. Reist ein Migrant weiter, muß der betroffene Mitgliedsstaat ihn innerhalb von zwölf Monaten überstellen, sonst übernimmt er automatisch die Zuständigkeit. Diese Frist ließ Deutschland im vergangenen Jahr bei 38.682 Personen verstreichen.
Um die Überstellungen und Abschiebungen durchzuführen, stehen in Deutschland – verteilt auf die Landespolizeien und die Bundespolizei – insgesamt 800 Abschiebehaftplätze zur Verfügung. Rund ein Drittel davon befindet sich im Freistaat Bayern. Eine geglückte Abschiebung ist jedoch kein Garant dafür, daß derselbe Migrant nicht erneut nach Deutschland einreist. So wurden im vergangenen Jahr 7.204 Personen registriert, die zuvor mit einer Wiedereinreisesperre belegt waren. Weitere 2.840 wurden zuvor in einen anderen EU-Mitgliedsstaat überstellt, fanden ihren Weg jedoch zurück nach Deutschland.
Um vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer künftig verläßlicher abschieben zu können, versicherte die Bundesregierung, sie werde mit Hochdruck an Migrationsabkommen mit Herkunftsstaaten arbeiten (siehe Seite 5). Ein solches gibt es beispielsweise seit März 2023 mit Indien. Doch trotz der Vereinbarungen zwischen Berlin und Neu-Delhi wurden nur 51 Inder in ihr Heimatland abgeschoben. 752 ausreisepflichtige indische Staatsangehörige leben weiterhin ohne Duldung in Deutschland; hinzu kommen 3.406 mit einer Duldung. Dabei gilt der Vertrag zwischen Deutschland und Indien als Musterbeispiel. Ähnliche Abkommen werden unter anderem mit Georgien, Kenia, Kolumbien, Marokko und Moldau angestrebt.
Warum aber sank trotz der geringen Anzahl erfolgreicher Abschiebungen die Zahl der ausreisepflichtigen Ausländer? Verantwortlich dafür ist das zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene Chancenaufenthaltsgesetz. Mit ihm können abgelehnte Asylbewerber einen Aufenthaltstitel erhalten, sofern sie seit fünf Jahren geduldet in Deutschland leben und sich keiner Straftat schuldig gemacht haben. Seit der Einführung dieser Möglichkeit erhielten 55.547 Personen einen Aufenthaltstitel – und verschwanden somit aus der Statistik ausreisepflichtiger Ausländer. Zu den größten Nutznießern gehören Iraker, von denen knapp 11.000 einen Aufenthaltstitel erhielten. Es folgen Russen (4.700) und Nigerianer (3.800). Weitere 31.269 Personen erhielten auf Grundlage anderer Gesetze eine Aufenthaltserlaubnis. Insgesamt bekamen 86.816 ausreisepflichtige Ausländer die Möglichkeit, sich hierzulande legal aufhalten zu können.
„Mit Entwicklungshilfe Druck auf Herkunftsländer ausüben“
Nach einem Jahr des Chancenaufenthaltsgesetzes blieben Ende 2023 noch 242.642 Ausreisepflichtige. Zehn Prozent von ihnen sind Iraker, gefolgt von Afghanen (sechs Prozent), Russen und Nigerianern (jeweils fünf Prozent). Der Großteil (193.972) der Ausreisepflichtigen verfügt aber über eine Duldung. Rund 47.000 Geduldeten (24 Prozent) fehlte es an den nötigen Reisedokumenten für eine Abschiebung. Weitere neun Prozent wurden geduldet, da ihre Identität nicht geklärt werden konnte. Eine Zahl, die künftig wachsen dürfte, da mehr als die Hälfte (53 Prozent) aller abgelehnten Asylbewerber im vergangenen Jahr keine Identitätspapiere vorweisen konnten.
Diese Zahlen zeigten, daß „von ‘Abschiebungen im großen Stil’, die der Bundeskanzler kürzlich ankündigte, weiterhin keine Rede sein“ könne, sagte Fragesteller Gottfried Curio der JUNGEN FREIHEIT. Die vielfältigen Hindernisse für erfolgreiche Rückführungen bestünden unverändert fort, monierte der innenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion. Ein Hauptproblem seien dabei die Herkunftsstaaten, die bei der Rücknahme ihrer Staatsbürger nicht kooperieren würden. Die Versuche der Bundesregierung, sie durch Migrationsabkommen zu mehr Kooperation zu bewegen, seien mit Blick auf die mageren Resultate des Beispiels mit Indien „vorerst als gescheitert anzusehen“. Curios Forderung: Berlin müsse „endlich Visapolitik und Entwicklungshilfe als Hebel nutzen, um Druck auf diese Staaten auszuüben“.
Und solange das EU-Recht – wie die gescheiterten Dublin-Überstellungen bewiesen – faktisch außer Kraft und Außengrenzen ungeschützt seien, blieben „Zurückweisungen an der deutschen Grenze die einzig wirksame Gegenmaßnahme“, so Curio gegenüber der jungen freiheit. Letztlich, kritisiert der Berliner Politiker, fehle sowohl „auf Bundesebene als auch bei den Bundesländern weiterhin der politische Wille, geltende Ausreisepflichten mehr als nur homöopathisch umzusetzen“.