Sagen wir es mal mit Robert Habeck: Die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV)ist nicht insolvent, sie hat nur leider kein Geld mehr. Schon jetzt müssen die Beitragseinnahmen durch jährliche Bundesmittel in Höhe von insgesamt 122 Milliarden Euro pro Jahr ergänzt werden. Das ist mit 23,5 Prozent nahezu ein Viertel des Bundeshaushalts. In Zukunft wird aber auch das nicht mehr ausreichen.
Hauptursache ist die alternde Bevölkerung. Während derzeit noch etwa 50 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter sind, werden es 2080 nur noch 45,5 Millionen sein – trotz Anhebung des regulären Renteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahre. Zugleich wird aber die Zahl der Menschen im Rentenalter von jetzt 17,6 Millionen auf dann 21,3 Millionen steigen. Stehen heute noch jedem Alten drei Personen im erwerbsfähigen Alter gegenüber, werden es schon 2040 nur noch zwei sein. Jedem denkenden Menschen ist klar, daß dies nicht ohne Auswirkungen auf ein umlagefinanziertes Rentensystem bleiben kann: Entweder die Beiträge steigen, oder das Rentenniveau sinkt, oder man muß irgendwie den Altersquotienten (also die Relation von Rentnern zu Erwerbstätigen) senken – mehr Möglichkeiten gibt es rein mathematisch nicht.
Dabei hat der Alterungsprozeß der deutschen Bevölkerung im letzten Jahrzehnt sogar pausiert. Die damit gegebene Chance zur Sanierung der Rentenfinanzen wurde aber vom Gesetzgeber nicht genutzt. Stattdessen weitete man sogar die Leistungen noch weiter aus, kritisiert der Sachverständigenrat: Mütterrente I und II, Einfrierung der GRV-Beitragssätze und des Leistungsniveaus („doppelte Haltelinie“) und zuletzt die „Respektrente“ – immer ging es nur um neue Wohltaten, obwohl die düsteren Zukunftsaussichten lange bekannt waren. Auch bei der Vorsorge für die Beamtenpensionen wurde geschlampt, wie der Sachverständigenrat moniert. Die ohnehin unzureichenden Versorgungsrücklagen wurden von vielen Bundesländern sogar zweckentfremdet für die allgemeine Haushaltsfinanzierung, speziell vor Landtagswahlen. Stimmenkauf mit kurzfristigen Ausgaben ist eben für Politiker meist attraktiver als echte Zukunftsvorsorge, allen Nachhaltigkeits-Bekenntnissen zum Trotz.
Das gilt auch für das von der Ampel in der letzten Woche vorgestellte Rentenpaket II. Erneut und wider besseres Wissen wird darin ein Eckrentenniveau von 48 Prozent garantiert, sogar über das ursprünglich vorgesehene Jahr 2025 hinaus. Das bedeutet: Ungeachtet aller Finanzierungsprobleme soll jemand, der mindestens 45 Jahre eingezahlt und durchschnittlich verdient hat, mindestens 48 Prozent des dann erreichten Einkommens eines durchschnittlichen Arbeitnehmers als Rente erhalten. Bloß nicht die Rentner verschrecken! Aber auch der GRV-Beitragssatz von derzeit 18,6 Prozent soll zunächst noch stabil bleiben, nämlich bis 2027. Welch glückliche Fügung, bis dahin werden nämlich die Bundestagswahl und die meisten anstehenden Landtagswahlen vorbei sein.
Dann aber geht es los. Bis 2035 wird der Beitragssatz nach Berechnungen des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) auf sage und schreibe 22,3 Prozent hinaufschnellen. Einmal mehr werden also die Probleme der Altersvorsorge vertagt, obwohl gewissermaßen der Rollator längst im Brunnen liegt.
Der größte Bluff aber ist das sogenannte Generationenkapital, bisher Aktienrente genannt. Auf den ersten Blick ist dieses Lieblingsprojekt Christian Lindners genial: Der Bund kauft Aktien und schafft so für künftige Rentenlasten neben Beiträgen und Steuermitteln ein drittes, kapitalgedecktes Standbein. Finanziert wird das Ganze durch Bundesanleihen, die aber weniger Zinsen kosten, als die Aktien voraussichtlich an Rendite einbringen. Wenn alles gutgeht, könnten so deshalb 2036 etwa zehn Milliarden Euro jährlich zusätzlich in die Rentenfinanzierung fließen.
Das klappt allerdings nur, wenn sich die Renditeerwartungen erfüllen und es nicht etwa zwischendurch zu einer Finanzkrise wie 2009 kommt. Zudem steigt die Staatsverschuldung, auch wenn das Geld nicht konsumiert wird, sondern der Bund damit an der Börse zockt. Wie sich das auf die derzeit noch günstigen Refinanzierungskosten Deutschlands am Kapitalmarkt auswirkt, muß man abwarten. Und selbst im günstigsten Fall ist der Senkungseffekt auf den künftigen Beitragssatz mit 0,3 Prozentpunkten eher symbolisch. Im Jahr 2040 wird er dann laut den eigenen Berechnungen der Regierung bei 22,3 statt bei 22,6 Prozent liegen. Viel Lärm und viel Risiko also für einen vergleichsweise mickrigen Effekt. Auch die Deutsche Rentenversicherung selbst und der Bund der Steuerzahler sehen das sehr kritisch.
Was stattdessen wirklich sinnvoll wäre, hat der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Jahresgutachten aufgeschrieben. In erster Linie müßte das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung gekoppelt werden, so wie dies in anderen Ländern (Dänemark, Italien, Niederlande, Portugal) bereits geschieht. Wer heute in das Rentenalter eintritt, hat im Durchschnitt noch weitere zwanzig Jahre vor sich, Frauen etwas mehr als Männer. Vor fünfzig Jahren waren es nur etwa halb soviel, und die meisten Senioren sind heute auch viel fitter. Da kann man von den weniger werdenden Erwerbstätigen kaum verlangen, das alles zu finanzieren. Am besten noch direkt vom Bürgergeld in die Frührente. Darüber ist sich die Wissenschaft weitgehend einig, aber die Politik traut sich nicht und wirft lieber weiter Nebelkerzen.
Dazu gehört zum Beispiel das Märchen, noch mehr Zuwanderung könne das Rentenproblem lösen. Ja, wenn tatsächlich die von Merkel versprochenen jungen Ärzte und Ingenieure in Scharen zu uns kämen! Davon kann aber keine Rede sein, und es würde auch bestenfalls vorübergehend helfen. Denn auch Zuwanderer und ihre Familien beziehen Sozialleistungen, und zwar bisher mehr, als sie an Beiträgen und Steuern zahlen. Ähnlich verhält es sich mit der Hubertus-Heil-Idee, auch Beamte und Selbständige in die GRV zu zwingen. Doch Beamte leben noch länger als andere Arbeitnehmer und viele Selbständige sind alles andere als gutverdienend und würden gar Grundrente beziehen.
Trotzdem wird es wohl auf Umverteilung hinauslaufen: Weniger für die, die früher fleissig gearbeitet haben, um die Renten für andere, u.a. später auch die Flüchtlinge bezahlen zu können. Selbst der Sachverständigenrat denkt in diese Richtung. Am Ende steht dann die Einheitsrente für alle, bezahlt von den wenigen Dummen, die man dann noch findet
Prof. Dr. Ulrich van Suntum lehrte bis 2020 VWL an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.