Als ich den Wagen auf dem abgeschiedenen, fast leeren Parkplatz abstelle, zeigt die Uhr, daß ich selbst an meinem letzten Arbeitstag noch pünktlich bin: 05:32 Uhr. Doch heute nehme ich mir ein wenig Zeit. Ich blicke über angrenzende Wiesen und Felder und kann im Grau des Morgens sogar ein paar Rehe erkennen. Alles wirkt friedvoll, ja beinahe schon malerisch. Wäre da nicht dieses bedrohlich wirkende Gebilde aus Beton und Stahl direkt in meinem Blickfeld.
Was war es, was mich über die Jahre hinweg immer wieder hat an diesen Ort zurückkehren lassen? Zwar habe ich meine Tätigkeit in der JVA nie als echte Berufung betrachtet. Dafür aber als eine Art Dienst an der Gesellschaft. Eine notwendige Aufgabe zur Wahrung von Recht und Gesetz sowie als Unterstützung für Gescheiterte.
Hilfreich war stets die gegenseitige Unterstützung zumindest in Teilen der Belegschaft.
War ich naiv? frage ich mich beim Aussteigen. Vermutlich. Doch jedesmal, wenn ich an der Sinnhaftigkeit meiner Aufgabe zweifelte, fand ich einen neuen Grund, um weiter motiviert ans Werk zu gehen. Hilfreich einerseits war die gegenseitige Unterstützung zumindest in Teilen der Belegschaft. Andererseits manch engagierte Persönlichkeit, die mir mit ihren Äußerungen Hoffnung gab.
Besonders zu erwähnen ist sicherlich die ehemalige Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig: „Wenn wir nicht rasch und konsequent handeln, wenn wir unsere Rechts- und Werteordnung nicht entschlossen durchsetzen, werden wir den Kampf gegen die Jugendkriminalität verlieren.“ Es ist tragisch, daß die Autorin des Buches „Das Ende der Geduld“ viel zu zeitig aus dem Leben schied. Um so mehr aber schmerzt es, daß bis zum heutigen Tag bei den gesellschaftlich unliebsamen Themen vor allem jene Gehör finden, die sich in Tagträumereien ergehen als der Realität zuzuwenden. Und so verwundert es auch nicht, daß in den Strafvollzugseinrichtungen unseres Landes aus den Jugendlichen von damals leider viel zu oft die erwachsenen Problemfälle von heute geworden sind.
Die schwere Eingangstür öffnet sich. Ich schreite hindurch und werde ein letztes Mal von dieser paradoxen Welt verschluckt.
Als das Tor am Dienstende hinter mir mit einem lauten Knall ins Schloß fällt, öffne ich die Augen. Habe ich geträumt? Nicht wirklich. Es war gelebte Realität, die für mich nun der Vergangenheit angehört. Und auch wenn ich nie gefangen war, so bin ich doch erst heute wieder richtig frei.
Wer also die Ehe zerstört, zerstört das Heim, die Stadt und die ganze Menschheit. Musonius Rufus, römischer Philosoph (30–101 n. Chr.)