© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/24 / 08 März 2024

Gefahren des grünen Elterntaxis
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz stuft Babboe-Lastenfahrräder als „gefährliches Produkt“ ein
Ludger Bisping

Als kürzlich Kinderhelme wie „L.O.L. Surprise!“ oder „Disney Princess“ der Hongkonger Firma MV Sport als „gefährliche Produkte“ eingestuft wurden, erschraken woke Großstadtmütter nicht. Was weniger als eine Flasche „Chablis Vieilles Vignes“ mit Biosiegel kostet, gehört schließlich nicht auf den Kopf von Mia und Finn. Doch seit 28. Februar listet die Bundesanstalt für Arbeitsschutz (BAuA) in seiner Warnliste auch grüne Elterntaxis wie das „Flow Mountain“ mit Yamaha-E-Motor, Enviolo-Schaltung, Anti-Rutsch-Einstieg und Regenverdeck auf, die mehr kosten als ein vier Jahre alter Dacia Sandero. Zuvor hatte bereits die niederländische Sicherheitsbehörde NVWA die Nutzung „bestimmter Lastenrad-Modelle“ von Babboe untersagt.

Nach einer Serie von Rahmenbrüchen mit unklarer Ursache wurde der Verkauf sämtlicher Räder – neun Familien-, drei Güter- und zwei Hunde-Modelle – „vorübergehend“ eingestellt. „Momentan arbeiten wir hart an einer Lösung“, versprach die in der Provinz Utrecht beheimatete Firma, die zur niederländischen Accell Group gehört. „Wir sind uns dessen bewußt, daß es Ihnen viel Geduld abverlangt und daß die Situation viele Unannehmlichkeiten mit sich bringt. Dafür möchten wir uns bei Ihnen entschuldigen.“ Das klingt nach US-Managersprech – nicht zu Unrecht: Accell wurde 2022 für 1,77 Milliarden Dollar von KKR übernommen. Das ist jener Finanzinvestor, der seit 2019 den Springer-Konzern woker und profitabler macht.

Die fünfjährige Rahmengarantie gilt nur für den Erstbesitzer

Ob alle 14 Babboe-Modelle wegen „erheblicher Sicherheitsrisiken“ aus dem Verkehr gezogen werden, ist unklar. Am 27. Februar wurden in den Niederlanden zunächst die zweirädrigen Modelle City, City E, Mini und Mini E zurückgerufen. Den Besitzern werde „ein Ersatzrad oder eine andere geeignete Alternative angeboten. Darüber hinaus wird eine Entschädigung für die entstandenen Unannehmlichkeiten gezahlt“, versprach Babboe-Chef Gerard Feenema. In den anderen 30 Ländern, in denen Babboe-Räder verkauft wurden, stehe man in Kontakt mit den Behörden, „um die entsprechenden Maßnahmen zu koordinieren“.

Wer dennoch mit seinem Babboe-Rad weiterfährt, riskiert bei einem Unfall zwar nicht seinen Kranken-, aber seinen Haftpflichtversicherungsschutz. Anwälte raten daher zur Vorsicht. Die deutschen Behörden können weder Babboe, Accell noch KKR zu einer Entschädigung verpflichten. Die fünfjährige Rahmengarantie gilt nur für den Erstbesitzer und bei jährlicher Fahrradwartung. Es gibt die zweijährige Gewährleistungspflicht des Händlers – aber keinen Anspruch auf „Geld zurück“, klärt der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) auf. Den Betroffenen müßten auch nicht die Mietkosten für ein Ersatzrad bezahlt werden.

Deshalb klagte eine gestreßte 39jährige Anwältin aus dem Berliner Grünen-Kiez Prenzlauer Berg der Guardian-Korrespondentin Kate Connolly ihr Leid: „Ich verlasse jeden Wochentag um 7.00 Uhr das Haus, bringe ein Kind in die Kita, das andere in die Schule und gehe dann mit meinem Hund zur Arbeit.“ Dennoch werde sie ihr Babboe-Rad bis auf weiteres nicht benutzen und ein Taxi nehmen: „Aber das kostet 40 bis 50 Euro pro Tag.“ Die Amsterdamer Anwaltskanzlei Birkway hat hingegen schon unter Bakfietsclaim.nl eine Internetseite eingerichtet, wo sich frustrierte Babboe-Besitzer für eine mögliche Klage registrieren können.

Das Statussymbol des grünen Milieus sorgt aber selbst dann für Gefahr, wenn es von Riese & Müller oder Winther Bikes aus Dänemark kommt: Bei einem Unfall sind Fahrer und Kinder in der Limousine oder im SUV immer sicherer als auf dem Lastenrad – das hat keine Knautschzone und keine Airbags. „Kinder sollten in Lastenrädern unbedingt angeschnallt werden und alle Mitfahrenden einen Helm tragen“, sagt Frank Schneider, Referent Fahrzeugtechnik beim TÜV-Verband. Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) prognostiziert eine deutliche Steigerung der Unfallzahlen, da die schwierig zu lenkenden E-Lastenräder immer schneller, schwerer und mehr werden: 2018 wurden in Deutschland nur 60.100 „Cargobikes“ verkauft, 2022 waren es schon 212.800 – trotz Endkundenpreisen von bis zu 10.000 Euro.

Bei Crashtests in der „Fahrrad-Hauptstadt“ Münster wurden Lastenrad-Unfälle mit Fußgängern simuliert – mit schockierenden Resultaten: Schon bei 24 km/h kommt es zu schweren Kopfverletzungen und multiplen Knochenbrüchen. 2022 wurden bei Unfällen zwischen Radlern und Fußgängern insgesamt 5.651 Menschen verletzt – 711 davon schwer und 13 tödlich. Über die Hälfte der untersuchten Unfälle geschah auf Radwegen, gefolgt von Fußgängerzonen und Gehwegen – und überwiegend waren die Radler schuld, beklagt die UDV-Studie über „Innerörtliche Unfälle zwischen zu Fuß Gehenden und Radfahrenden“. Obwohl Radler stets beklagen, von Autos gefährdet, bedrängt und behindert zu werden, so verhalten sie sich gegenüber Fußgängern rücksichtslos.

Fahrrad-Leasing zur „Mitarbeiter-Motivation & CO2-Reduktion“

Sie verschaffen sich die Vorfahrt mit der Klingel – und jeder vierte flüchtet nach einer Karambolage vom Unfallort. Die UDV geht von einer hohen Dunkelziffer aus, da viele Fahrradunfälle nicht gemeldet werden. Baulich nicht getrennte, sondern nur aufgemalte Radwege in Fußgängerzonen und Haltestellenbereiche sind die Unfallschwerpunkte. Die gefährlichste Variante seien Zwei-Richtungs-Radwege, auf denen sich die Radfahrer entgegenkommen – und Lastenräder nehmen zudem oft die ganze Radwegbreite ein. Der ADFC sieht die Infrastruktur dem Wachstum der leistungsstarken Räder nicht gewachsen.

Doch wie die rasenden E-Scooter werden Lastenräder politisch gefördert. In Bayern haben acht Kommunen subventionierte Lastenrad-Mietsysteme eingerichtet, die laut Landesverkehrsminister Christian Bernreiter „mehrere tausend Autofahrten“ im Jahr vermeiden sollen. Lastenräder „eignen sich, um den Einkauf nach Hause zu transportieren, die Kinder abzuholen oder für Ausflüge“, so der dienstwagenberechtigte CSU-Politiker, der voriges Jahr auch die Initiative „JobBike Bayern“ gestartet hat. Profiteur ist die 2020 gegründete Deutsche Dienstrad GmbH (DD) in Schweinfurt.

Die bietet das Fahrrad-Leasing für „Arbeitnehmende“ und Arbeitgeber an: zur „Mitarbeiter-Motivation & CO₂-Reduktion“, als Entgeltumwandlung oder als Bonus zum Gehalt. Und „Mitarbeitende im öffentlichen Dienst sparen bis zu 40 Prozent“, so DD-Gründerin Christina Diem-Puello. Die Zeitgeist-Firma hat ihre über hundert Jahre alten familiären Wurzeln in der unterfränkischen Fahrradfabrik Winora, die 2002 von Accell übernommen wurde. Die DD sei aber ein „eigenständiges Familienunternehmen ohne Marken- und Herstellerbindung“, was lediglich das Erbe von Winora-Gründer Engelbert Wiener fortsetzen wolle.

 www.babboe.de/familien-lastenraeder

 www.adfc.de/artikel/empfehlungen-des-adfc-fuer-kaeuferinnen-von-babboe-lastenraedern