Peter Scholl-Latour scheute sich nicht, unverblümte Wahrheiten jederzeit auszusprechen: „Wer halb Kalkutta aufnimmt, rettet nicht Kalkutta, sondern wird selbst Kalkutta“ oder „Wir leben in einem Zeitalter der Massenverblödung, besonders der medialen Massenverblödung“. Dazu befähigten ihn seine mit Abschluß absolvierten Universitätsstudien, seine gemachten Lebenserfahrungen und seine viele Jahrzehnte lange journalistische Tätigkeit für Printmedien, Hörfunk sowie ARD und ZDF und nicht zuletzt ab 2002 auch für die JUNGE FREIHEIT. Über diese Zeitung äußerte Peter Scholl-Latour lobend: „Die junge freiheit bedeutet für mich, daß es noch unabhängige Geister in der deutschen Medienlandschaft gibt und Journalisten das Risiko eingehen, gegen den Strom zu schwimmen.“
Als Auslandskorrespondent scheute Scholl-Latour kein Risiko
Am 9. März 1924 kam der später die deutsche und die französische Staatsbürgerschaft besitzende Peter Scholl in Bochum als Sohn eines elsaß-lothringischen Arztes und dessen jüdischer Ehefrau zur Welt. Obwohl der im Dritten Reich aufwachsende Peter Scholl zeitlebens ein katholischer Christ war, galt er gemäß den nationalsozialistischen Rassegesetzen als „Mischling ersten Grades“. Um ihn zu schützen, schickten ihn die Eltern ab 1936 zum Besuch einer weiterführenden vormaligen Jesuitenschule nach Freiburg in der Schweiz. Irgendwann begann Peter Scholl sich hier nach einer Urgroßmutter väterlicherseits „Scholl-Latour“ zu nennen. 1940 mußte er zwangsweise nach Deutschland zurückkehren und legte 1943 in Kassel das Abitur ab. Gegen Ende 1944 faßte der damals sehr frankophile Peter Scholl-Latour den Entschluß sich nach Frankreich durchzuschlagen, um in die freifranzösische Armee einzutreten. Bei diesem Versuch, das Deutsche Reich über Jugoslawien zu verlassen, verhaftete man ihn Anfang 1945 in der Steiermark, und er erlebte das Kriegsende 1945 in Gestapohaft.
1945/46 diente der junge Peter Scholl-Latour als französischer Fallschirmjäger in Indochina und erwarb hier neben persönlicher Kampferfahrung erste Landeskenntnisse über Asien. Asien und der Islam wurden zugleich die Themen, welche den Journalisten und Außenpolitikexperten zeitlebens beschäftigten. Ab 1948 studierte Scholl-Latour zuerst in Mainz, danach an der Pariser Sorbonne anfangs Medizin, danach Philologie und Politikwissenschaften und beendete sein Studium zuerst mit dem Diplom und Anfang 1954 mit einer Promotion. Daran schloß sich von 1956 bis 1958 an der Universität Beirut ein gleichfalls mit Diplom absolviertes Studium der Islamkunde und der Arabistik an.
Seine mehr als sechzig Jahre andauernde journalistische Tätigkeit begann der polyglotte Scholl-Latour 1948 mit einem Volontariat bei der Saarbrücker Zeitung, wirkte anschließend für Le Monde und in den staatlichen Diensten des Saarlandes, bis er schließlich 1960 als Afrikakorrespondent zur ARD überwechselte. Als Auslandskorrespondent scheute der vormalige Fallschirmjäger Scholl-Latour kein Risiko und berichtete beständig vonden Brennpunkten der Weltpolitik, egal ob diese gerade in Afrika, im Vorderen Orient, in Amerika oder aber Süd- und Südostasien lagen. Schließlich leitete Peter Scholl-Latour seit Mitte der sechziger Jahre das ARD-Studio in Paris und war schließlich von 1969 bis 1971 WDR-Fernsehdirektor, bevor er 1971 als Chefkorrespondent zum ZDF ging. Kurzzeitig geriet er bei einer Südvietnam-Berichterstattung 1973 gar in die Hände des Vietcong und durfte 1978 Ayatollah Khomeini bei seiner Rückkehr aus Paris in den Iran begleiten. In einem Scholl-Latour-Nachruf vom 16. August 2014 schrieb der Spiegel deshalb nicht zu Unrecht, daß der Verstorbene „das Bild der Deutschen von der Weltpolitik“ prägte und er eigentlich der „letzte Welterklärer“ gewesen sei. Seit den frühen achtziger Jahren publizierte Scholl-Latour als freier Autor eine große Anzahl von politischen Sachbüchern, die allesamt Bestseller wurden. Allein das Indochinabuch „Der Tod im Reisfeld“ erreichte eine Gesamtauflage von über 1,3 Millionen Exemplaren und war lange Zeit das meistverkaufte Sachbuch in Deutschland.
Er warnte früh vor der steten Unterfinanzierung der Bundeswehr
Scholl-Latour war ebenso als Ufa-Film- und Fernsehbeiratsmitglied am Aufbau des Privatfernsehsenders RTL in Deutschland beteiligt. Nicht ganz so erfolgreich agierte der sachkundige, doch persönlich kantige Peter Scholl-Latour, als man ihn 1983 gemeinsam mit Rolf Gillhausen zum neuen Chefredakteur des nach der Hitler-Tagebuch-Affäre schwer angeschlagenen Stern berief. Gegen den massiven Unwillen der überwiegend links beheimateten Journalistenschaft des Stern konnte sich auch ein Peter Scholl-Latour nicht behaupten. Er war eben kein ideologisch linksgestrickter Journalist wie bei der Hamburger Illustrierten und vielen anderen bundesdeutschen Medien üblich, sondern ein welterfahrener und selbstbewußter Sachkenner.
Vergeblich kritisierte er nach 1990 die übereilte EU-Osterweiterung und mahnte erfolglos nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA, man stehe nun am „Ende der Spaßgesellschaft“. Schon damals wies Peter Scholl-Latour auf die stete Unterfinanzierung der Bundeswehr hin und warnte die bundesdeutsche Politik davor, sich ohne Exit-Strategie am amerikanischen Einmarsch in Afghanistan zu beteiligen. Hätte der am 16. August 2014 in Rhöndorf verstorbene Scholl-Latour den im August 2021 erfolgten, fluchtähnlichen Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan nebst nachfolgender massiver Einreise echter oder vermeintlicher „Ortskräfte“ sowie deren zahlreichen Familienmitgliedern in die Bundesrepublik noch miterlebt, so hätte er sich in seinen schwärzesten Befürchtungen bestätigt gesehen. Von eben solcher gnadenlosen Realitätssicht geprägt war ein Satz Peter Scholl-Latours, der er im Juni 2013 in einem Interview zu Syrien beiläufig äußerte: „Die deutsche Presse ist eben nicht frei.“