© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/24 / 08 März 2024

Das Recht auf Konsum als linkes Kernanliegen
Nächster Halt: Schlaraffenland
Konrad Adam

Arbeit! Arbeit! Arbeit!“ hieß der Slogan der SPD. Sie mußte es dreimal sagen, damit auch der letzte Genosse verstand. Das war einmal, ist längst vorbei. Der Slogan stammt aus einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit als Makel, ja als Schande galt, das Recht auf Arbeit proklamiert wurde und im Programm der SPD weit oben stand. „Sozial ist, was Arbeit schafft“ hieß das Dogma, das auch von anderen Parteien nachgesprochen wurde, und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, sogenannte ABM-Programme, genossen allerhöchste Dringlichkeit.

Damals stand die SPD noch im Schatten ihres Stammvaters Karl Marx. Dessen Schwiegersohn Paul Lafargue hatte ihm aber schon zu Lebzeiten widersprochen und das Recht auf Arbeit durch das Recht auf Faulheit ersetzt – ein Recht, das es im Unterschied zum Recht auf Arbeit, das immer nur versprochen, aber nie eingelöst worden ist, tatsächlich gibt. Faulheit war allerdings das falsche Etikett, und Lafargue war ehrlich genug, das auch einzugestehen. Statt sich mit ein paar Gramm zähen Fleisches zufriedenzugeben, schrieb er in seinem Loblied auf die Faulheit, sollten die Arbeiter täglich zwei Pfund saftiges Beefsteak essen, an Stelle von schlechtem Wein aus kleinen Bechern aus großen, bis an den Rand gefüllten Gläsern Bordeaux und Bourgogne trinken und das Wasser dem Vieh überlassen. So sah die konkrete Utopie aus, von der die Linke bis heute träumt.

Nüchterner als sein Schwiegervater hatte Lafargue einen Blick in die Zukunft geworfen. Das Problem der kapitalistischen Wirtschaft bestehe nicht darin, ihre Kräfte zu verzehnfachen und das zehnfache Warenangebot herzustellen, sondern darin, Konsumenten zu finden, ihre Begierden zu wecken und durch immer neue, immer wildere und immer falschere Begierden zu überbieten – nicht das Angebot, die Nachfrage zählt. Trotz ihrer unersättlichen Gefräßigkeit, polemisierte Lafargue, reiche die Masse der Arbeiter samt Frauen und Kindern nicht aus, all die Dinge zu verbrauchen, die sie, irregeleitet vom fälschlich so genannten Recht auf Arbeit, wie die Wahnsinnigen herstellten, ohne daran zu denken, ob es denn auch Leute genug gäbe, sie zu konsumieren. Bei acht bis neun Milliarden Erdbewohnern gibt es die Leute längst, und wo sie fehlen, hilft die Werbung nach. Fraglich ist nur, woher das viele Geld für die vielen Leute kommen soll, die zwar verbrauchen, aber nicht arbeiten wollen. Die Vereinigung der glücklichen Arbeitslosen, einer Sumpfblüte der Berliner Sozialbürokratie, hatte ja ganz recht, als sie verkündete, was dem Arbeitslosen fehle, sei nicht die Arbeit, sondern das Geld. Das leuchtete der SPD ein, und mit Unterstützung der Grünen, denen sich inzwischen auch die FDP angeschlossen hat, erfanden sie das Bürgergeld. Sozialminister Hubertus Heil, einer seiner Mit-Erfinder, bestreitet zwar, daß es sich hier um das Lieblingsprojekt der Linken, das bedingungslose Grundeinkommen handelt, doch Millionen von Antragstellern, die Hälfte von ihnen arbeitsfähig, aber arbeitslos, wissen es besser. Sie haben kalkuliert und festgestellt, daß es ein gutes Geschäft ist, auf ein paar Euro im Monat zu verzichten, dafür aber Tag für Tag ausschlafen und vor der Glotze sitzen bleiben zu dürfen.

Das Lohnabstandsgebot, die Heilige Kuh der Makro- und Mikroökonomen, bleibt damit gewahrt. Nur spielt es keine Rolle mehr, denn wenn man mit Bürgergeld, Wohngeld, Heizungsgeld und Kindergeld fast genauso gut, vielleicht sogar noch etwas besser dasteht als der arbeitswillige Nachbar, gibt man sich gern mit etwas weniger zufrieden. Das Bürgergeld ist ein Geschenk, ein Sonderangebot auf Dauer, das der gelernte Sozialstaatsbürger nicht ausschlagen wird. Warum sollte er auch? Die Umverteilung, die dem einen gibt und dem anderen nimmt, findet ja im verborgenen statt. Kein Mensch weiß, wer wen aushalten muß und wer von wem ausgehalten wird, die Umverteilungsströme fließen im Hintergrund. Wo der Bürger zum Konsumenten geschrumpft ist, hat der Staat nicht nur das Recht, er ist dazu verpflichtet, ihm das erforderliche Geld mit beiden Händen in die Taschen zu stopfen.

Das tut er auch. Unter dem Titel Bürgergeld gehen Milliarden an Leute, die zum allgemeinen Wohlstand nichts beigetragen haben, wahrscheinlich auch niemals etwas beitragen werden – Rechte ohne Pflichten, Leistungen ohne Gegenleistung, das ist die Quintessenz der sozial getarnten  Gerechtigkeit. Während die Steuerlast zusammen mit den Zwangsbeiträgen zu der staatlich betriebenen Versicherungsindustrie die eine Hälfte des Einkommens auffrißt und die andere unter dem Druck der Inflation zusammenschmilzt, wird das Bürgergeld um zwölf Prozent, das Dreifache der Teuerungsrate, erhöht. Goldene Zeiten für alle, die es mit dem Recht auf Faulheit ernst meinen. Wer trotzdem arbeitet, ist, wie der Volksmund sagt, selbst dran schuld.

Wären die Linken ehrlich, würden sie ihren Ahnherren Marx durch Paul Lafargue, das Recht auf Arbeit durch das Recht auf Faulheit und den Wunsch nach Leistung durch den Anspruch auf Konsum ersetzen. Noch sind sie aber nicht so weit. Trotz gewaltiger Subventionen gilt die Absicht, sein Leben auf Kosten anderer zu führen, immer noch als ehrenrührig, als die moderne Form von Schnorrerei. Helmut Schmidt, einer der letzten Repräsentanten der bürgerlich gewendeten SPD, hatte solche Neigungen im Blick, als er von einer Verluderung des Sozialstaats sprach. Das ändert sich zur Zeit. Der Fortschritt drängt, die Stimmung kippt, der Wind springt um. Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen, hatte seinerzeit der Apostel Paulus gelehrt, doch davon wollen selbst die Kirchen nichts mehr hören. Sie wollen modern sein und beeilen sich, ihren Mantel in den Wind zu hängen. Ähnlich wie die SPD sind sie über ihre Gründungsheiligen längst hinaus und werben für einen Sozialstaat ohne Grenzen, ohne Regeln und ohne Anstand.

Für alle, die immer noch Arbeit suchen, wird das teuer. Umverteilt wird ja nach zwei Seiten, nicht nur nach unten, sondern auch nach oben. Genauso schnell, vielleicht sogar noch etwas schneller als die Masse der Betreuten sind die Heerscharen der Betreuer gewachsen, die teilhaben wollen am sozialen Fortschritt. Die Fürsorglichkeit soll sich lohnen, und sie lohnt sich auch. Das Soziale vom Geruch des Gotteslohnes zu befreien, war das erklärte Ziel sämtlicher Fachminister von Blüm bis Heil, „das Nonnen-Image muß weg!“ verlangten auch die Grünen – inzwischen ist es ja auch weg. Den Kirchenleuten war das recht, sie wußten sich schon immer beim Weiterreichen von Geld, das ihnen nicht gehörte, die Finger zu vergolden.

In einem Staat, der ein Drittel seines Etats für sozial genannte Zwecke ausgibt, hat jeder ausgesorgt, der sich darauf versteht, das Sozialkapital an der richtigen Stelle anzuzapfen. Der Chef der Treberhilfe, hoch subventioniert von der Berliner Wohlfahrtsbürokratie, fuhr einen Maserati als Dienstwagen und residierte in einer Villa im vornehmen Westen der Stadt. „Das Teuerste, was sie haben!“ soll der Geschäftsführer der Frankfurter Arbeiterwohlfahrt bei seinem Lieblingsitaliener bestellt haben, als er für ein millionenschweres Flüchtlingshilfsprojekt den Zuschlag erhalten hatte. Auf den Geschmack gekommen, gründete er ein weiteres, gemeinnützig genanntes Sub-Unternehmen, die AWO-Protect, die ihm weitere Millionen aus öffentlichen Mitteln in die Kasse spülen sollte. Man braucht nicht einmal unsozial zu sein, um die Gesellschaft zu ruinieren, hat ein Kenner des Betriebs dazu bemerkt, „vielleicht führt man das Unglück gerade dadurch herbei, daß man sozial ist“. Oder so tut, als ob. Gerhard Schröder, Sigmar Gabriel, Andrea Nahles – für jeden dieser drei Sozialdemokraten, die kurz nacheinander den Vorsitz innehatten, war die Partei nur eine Stufe auf dem Weg nach oben. Und oben war da, wo das Geld floß, viel Geld. Schröder heuerte als Aufsichtsrat bei Putin an, Andrea Nahles wurde zunächst mit einem gut dotierten Posten in Bonn, danach mit einem noch besser dotierten Posten in Nürnberg abgefunden, und Gabriel erhielt einen Sitz im Aufsichtsrat der Deutschen Bank, nachdem er als Cheflobbyist der deutschen Automobilindustrie nicht zum Zuge gekommen war.

Das eindrucksvollste Beispiel für die Kunst, Politik und Geschäft miteinander zu verweben, stammt allerdings von einem Gewerkschafter, dem ehemaligen Arbeitsminister Walter Riester. Er hatte das nach ihm benannte Rentenmodell so kompliziert entworfen, daß ihn alle Welt um Rat und Hilfe bitten mußte. So kam es, daß Riester auf jener Liste, die Auskunft gibt über die Nebeneinkünfte der Bundestagsabgeordneten, den Spitzenplatz eroberte. Für ihn hatte sich die Sache gelohnt, für Banken und Versicherungen, denen er einen neuen lukrativen Geschäftszweig eröffnet hatte, natürlich auch; nur für die Bürger, die vielen kleinen Leute nicht, die sich auf ihn und seine Kunst verlassen hatten. Inzwischen gilt die Riester-Rente als gescheitert.

Als er die SPD noch führte, hatte Sigmar Gabriel seinen Parteifreunden geraten, dorthin zu gehen, wo es brodelt, riecht und stinkt. Das haben sie noch niemals gern getan, und niemals widerwilliger als heute. Wie alle Funktionäre des Parteibetriebs leben sie in einer Welt für sich, abgehoben von den Menschen draußen im Lande, dem Mob, dem Pack und dem Gesindel. Schon Clemenceau, der alte Tiger, hatte sich über die Genossen mokiert, die immer noch so reden wie die da unten, aber so leben wie die da oben. Der deutsche Sozialstaat macht es ihnen leicht, er füttert beide Seiten. Aufkommen dafür muß die noch immer arbeitsame Mitte der Gesellschaft, die Masse der Steuer- und Abgabepflichtigen; sie weiß das nur nicht, will das auch gar nicht wissen. Die Unwissenheit gibt uns Ruhe, die Lüge Glück, mit dieser Sentenz hatten sich schon die Opfer der Französischen Revolution Trost zugesprochen, wenn sie der Zweifel überkam und sie am Sinn des Fortschritts irre wurden. Sie wollten nicht wissen, sie wollten glauben. Und leider wollen sie das immer noch.


Dr. Konrad Adam, Jahrgang 1942, war Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Chefkorrespondent der Welt. Adam beteiligte sich 2013 an der Gründung der Alternative für Deutschland (AfD) und war bis 2015 einer ihrer Bundessprecher.