© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/24 / 08 März 2024

Böse Populisten und gute Demokraten
Alle wollen auf einmal in Deutschland die Demokratie retten. Aber welche eigentlich? Und muß sie wirklich von denen gerettet werden, die dafür gerade auf die Straße gehen?
Dietmar Mehrens

Der seit einigen Jahren zu beobachtende inflationäre Gebrauch des Begriffs Demokratie und insbesondere die derzeit deutschlandweit wie Pilze aus dem Boden schießenden Demonstrationen zur „Verteidigung der Demokratie“ lassen aufhorchen. Wie alle Begriffe, die – wie seine Seelenverwandten „Haßrede“, „Vielfalt“ oder „Weltoffenheit“ – mit durchschaubarer Intention und eindeutiger Tendenz vornehmlich aus dem linksintellektuellen Milieu in den gesellschaftlichen Diskurs eingebracht werden, lädt er zu einer kritischen Begutachtung ein. Vor allem sollte geklärt werden, warum der „Demokratiefeind“ in diesem Diskurs rechts steht und der „Verteidiger der Demokratie“ links.  

Immer wenn man sich mit Vokabeln befaßt, die unter dem berechtigten Verdacht der einseitigen politischen Indienstnahme stehen, lohnt sich ein Blick in die Wortgeschichte. Die Demokratie entstammt dem Griechischen und setzt sich zusammen aus den Wortteilen demos (Volk) und krátos (herrschen). In der Demokratie verwirklicht sich also die in der Aufklärung zwar nicht erfundene, aber populär gewordene Vorstellung, daß nicht eine abgehobene Elite – im 18. Jahrhundert waren das Adel und Geistlichkeit – über die Volksgemeinschaft herrschen sollte, sondern das Volk selbst. Der Begriff der Volkssouveränität drückt dieses Ansinnen in idealer Weise aus. Er ist der Gegenbegriff zu Absolutismus und Gottesgnadentum, zu Ludwigs XIV. vermessenem: „Der Staat bin ich!“

Verschwendung von dem Volk abgepreßten Steuergeldern

In den Augen der Aufklärer des 18. Jahrhunderts mangelte es den absolutistisch regierenden Herrschern ihres Zeitalters an Legitimation. Wie ein Brandbeschleuniger für die in der breiten Masse zunehmenden Zweifel an der Qualität der Herrschenden wirkte der gewaltige Gegensatz zwischen der eigenen Situation, die als prekär empfunden wurde, und der Prunksucht der Höfe. Sie ging einher mit einer gigantischen Verschwendung von Steuergeldern, die dem Volk abgepreßt worden waren. Es waren blanker Populismus und eine Erhebung der Volksmassen, die schließlich in der Französischen Revolution für eine Veränderung der Verhältnisse sorgten. Populisten wie Voltaire oder Rousseau hatten dem Volk die Argumente geliefert, Hetzschriften und Haß-Karikaturen den Volkszorn geschürt, der am Ende den König unters Fallbeil brachte.

Auch der Begriff Populismus lädt übrigens ein zu einer kleinen wortgeschichtlichen Betrachtung. Und dabei kann es durchaus amüsant werden. Populismus ist nämlich abgeleitet von dem lateinischen Wort populus, und das bedeutet ebenfalls Volk. Gemeint sind in einem ganz konservativen Sinne die Menschen, die in einem bestimmten Landstrich als einheimisch bezeichnet werden können, weshalb populus auch mit Einwohnerschaft übersetzt werden kann. Ein -ismus aber drückt – das haben wir gelernt anhand von bösen „Ismen“  – ein ungutes Zuviel aus. Populismus ist demnach ein Zuviel des Hörens aufs eigene Volk. Die Frage, die sich daraus unweigerlich ergibt, lautet: Kann es für den lupenreinen Demokraten ein Zuviel des Hörens aufs eigene Volk überhaupt geben, wenn doch Demokratie bedeutet, daß das Volk herrschen soll? Kann es für den Christen ein Zuviel des Hörens auf die Worte Christi geben? Bedeutet Buddhismus ein Zuviel der Orientierung am Vorbild Buddhas? Oder begeben sich die Verteidiger der Demokratie, die so verbissen auf Populisten schimpfen, damit in eine tückische Aporie, aus der nur das Eingeständnis herausführt, daß sie keine lupenreinen Demokraten sind, sondern lieber wie Ludwig XIV. selbst herrschen wollen und daß ihnen das Volk dabei nur im Wege steht? 

Im Senat des römischen Imperiums, das sich kurz vor der Zeit, in der Asterix spielt, auch mal in Demokratie versuchte, gab es die Partei der Popularen, die „Volkspartei“. Heute würde man die Popularen Demokraten nennen. Denn noch mal zur Erinnerung: Die griechische Entsprechung zu populus lautet demos Die Gegner der Popularen hießen Optimaten. Sie setzten sich für die Vorherrschaft der „Optimalen“ im Reich ein, einer adligen Elite, einer Auslese der Besten. Ihre Überzeugung, daß es besser sei, das Volk zu bevormunden als es mitbestimmen zu lassen, weist die Optimaten als Verfechter der Aristokratie beziehungsweise eines Elitismus aus, der stark auf die Interessen einer gesellschaftlichen Elite ausgerichtet ist. Die Optimaten, das ist die Partei derjenigen, die davon überzeugt sind, es besser zu wissen. Die Gegensatzpaare lauten also: Demokratie versus Aristokratie, Volk versus Elite, Populismus versus Elitismus. So gesehen ist die Wortkreation Populismus ein grandioses Eigentor derjenigen, die nun nicht länger verbergen können, wer sie sind und wessen Interessen sie vertreten. Es sind nicht die des Volkes.

Anstifter fürchten den Verlust von Pfründen und Macht

Das zwingt förmlich zu der Schlußfolgerung, daß an den aktuell auf Straßen und Plätzen und zuletzt sogar bei den Berliner Filmfestspielen skandierten Parolen und geschwenkten Pappschildern zur „Verteidigung der Demokratie“ etwas faul ist. Hier sind moderne Optimaten am Werk, die ihren Widersachern, Nachfahren der Popularen, um im Bild zu bleiben, den Saft abdrehen möchten, weil sie sie für minderbemittelt halten, für blöde Trottel ohne Sachverstand. Menschen, die nicht begreifen, was für alle das Beste ist: Nur eine Impfung schützt vor einem neuen Virus, nur Waffen vor dem Krieg, nur die Auflösung der eigenen Nation verhindert Ausbeutung, nur die totale Energiewende den Weltuntergang. Volksabstimmungen sind daher im Grunde ein populistisches Ärgernis, weil sie die blöden Trottel an die Macht bringen könnten.

Es ist also mit Sicherheit nicht die repräsentative Demokratie, jenes bürgerlich-liberale Demokratiemodell, das sich in den Ländern des Westens durchgesetzt hat, für das linke Gruppen auf die Straße gehen. Denn in ihm hat eine vitale Opposition einen hohen Stellenwert, weil das Volk nur dann wirklich souverän ist, wenn es sich jederzeit frei für einen anderen Repräsentanten entscheiden kann. Jeder von Regierungsseite lancierte oder geförderte Angriff auf die Opposition gilt den Theoretikern der liberalen Demokratie deshalb als schwerwiegender Angriff auf eine ihrer tragenden Säulen. Putin, Hitler, Fujimori, Chavez: sie alle stehen für die Umwandlung einer funktionierenden Demokratie in eine Autokratie durch die Ausschaltung legitimer Oppositionskräfte. Wo aber sind die Beispiele dafür, daß ein von Regierungsparteien angeführter Kampf gegen die Opposition zu mehr Demokratie geführt hätte? 

Die große Schar der selbsternannten Demokratieretter auf Deutschlands Straßen teilt sich in zwei Gruppen: 1. Mitläufer, die die Begriffe Demokratie und Rechtsstaat fälschlich als Synonyme auffassen. Sie sorgen sich um den Rechtsstaat, weil sie unter einer AfD-Regierung Grundrechtseinschränkungen befürchten. Die könnte es auch geben, hat es aber in der Vergangenheit aus besonderem Anlaß – Stichwort körperliche Unversehrtheit – auch schon gegeben, ohne daß deswegen das ganze System kippte. 2. Anstifter, die den Verlust von Deutungshoheit, Pfründen und Macht fürchten.

Letztere sind die eigentliche Gefahr für die Demokratie, weil sich die Anzeichen verdichten, daß ihnen jedes Mittel recht und die Freiheit nicht heilig ist. Sie sind Absolutisten. Ihr Denken ist elitär. Demokratie verstehen sie nicht als liberale und plurale repräsentative Volksherrschaft mit gleichberechtigten politischen Wettbewerbern, sondern mit Karl Marx als Herrschaft derjenigen Klasse, die aus dem Klassenkampf als Sieger hervorgegangen und deren Elite nicht nur die optimale, sondern auch die einzig legitime Vertretung der Interessen des Volkes ist. Im „Manifest der Kommunistischen Partei“ (2. Kapitel) steht es: Die Erkämpfung der Demokratie ist gleichbedeutend mit der Ausschaltung der reaktionären (rechten) Kräfte. Was sich derzeit auf deutschen Straßen ereignet, hat daher viel mit Klassenkampf und überhaupt nichts mit Kampf für die Demokratie zu tun.