© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/24 / 08 März 2024

Der Staatsinfluencer
Anti-Rechts-Kampagne: Den aus Rundfunk-Zwangsbeiträgen bezahlten ZDF-Clown Jan Böhmermann hat das Land hochverdient
Thorsten Hinz

Der als Satiriker getarnte Polit-Aktivist Jan Böhmermann ist wieder obenauf. Die paar ärgerlichen Reaktionen, die seine Aufforderung im „ZDF Magazin Royale“ vom 16. Februar 2024 ausgelöst hatte, „einfach mal ein paar Nazis (zu) keulen“, blieben ein Sturm im Wasserglas und haben dem „Vollzeithetzer“ (Nius) nicht im mindesten geschadet. In der Sendung hatte er die Politiker von AfD und FPÖ immer wieder mit Hitler und Goebbels verglichen. „Keulen“ wird vom Duden so definiert: „Nutztiere töten, um Tierseuchen zu verhindern oder einzudämmen.“ 

Was ist so lustig oder satirisch an Böhmermanns Sendungen? Wer sich aus Gründen der Objektivität seine jüngste Sendung anschaute, fand keine Antwort auf die Frage. Nicht um die Messereien auf deutschen Straßen ging es, sondern um die Jagdprivilegien des Adels. Dazu fuchtelte er ständig mit einem Jagdgewehr herum. Nach zehn Minuten hatte der um Unvoreingenommenheit bemühte Zuschauer genug und schaltete ab: „Laang-weeii-liig“, hätte der gute alte Homer Simpson gerufen. 

Der politisch-mediale Komplex aber hält Böhmermanns Aktivismus für effektiv, nützlich, unverzichtbar, und so bleibt er unangefochten. Er interessiert nicht als Person, sondern als exemplarisches Medienphänomen. Auf dem Blog von Boris Reitschuster ist die Antwort nachzulesen, die das ZDF einem Beschwerdeführer zukommen ließ: Besagte „ZDF Magazin Royale“-Sendung habe sich mit dem Erstarken der FPÖ in Österreich beschäftigt. „Darüber hinaus wird der häufig gegen das Sendeformat gerichtete Vorwurf ‘immer gleich die Nazi-Keule rauszuholen’ im Laufe der Sendung mehrfach satirisch eingesetzt, zurückgenommen, variiert und parodiert.“ Die „provokante Schlußbemerkung ist im satirischen Gesamtkontext der Sendung zu sehen“. Sie sei „erkennbar nicht als Aufruf zur Gewalt gemeint, sondern ist ein satirisch überspitztes Wortspiel. Satire irritiert, stört, lotet Grenzen aus; das liegt in ihrem Wesen. Auch und gerade in einer Zeit gesellschaftlicher Polarisierung hat Satire als Kunstform ihren Platz.“

Lassen wir das zunächst so stehen und machen die hypothetische Gegenprobe. Stellen wir uns einen rechten Youtuber vor – ein rechter Fernseh-Satiriker ist per se unvorstellbar -, der vorschlägt, die ganze grüne Inkompetenz in einer Biotonne zu entsorgen. Als Kompost würden die Grünen wenigstens einen guten Endzweck erfüllen. Was wäre die Reaktion? – Haßrede! Endzweck! Menschen als Kompost! Das finsterste Kapitel der deutschen Geschichte! Fügte der Youtuber ergänzend hinzu, der satirische Charakter der Empfehlung ergebe sich bereits daraus, daß keine Biotonne groß genug ist, um es mit Ricarda Lang aufzunehmen, hätte er zusätzlich die Menschenwürde aller Adipösen verletzt und müßte damit rechnen, daß am nächsten Morgen die Polizei seine Wohnung auseinandernimmt.

Was die Pressestelle des ZDF verlautet, ist die Arroganz der Macht, die dem Gegenüber eiskalt seine Ohnmacht demonstriert. Sachlich stimmt an der Aussage so gut wie nichts. Die Nazi-Keule ist keine Spaßtrompete, sondern ein Mittel im Psycho- und Propagandakrieg gegen Regierungskritiker. Wer sie schwingt, kann auf ein Publikum zählen, das über Jahrzehnte darauf dressiert wurde, die politische Realität in einer primitiven und verzerrten Nazi- beziehungsweise Anti-Nazi-Matrix wahrzunehmen. Satirisch, witzig, künstlerisch anspruchsvoll wäre es, die Keule und die Voraussetzungen ihrer Wirksamkeit offenzulegen und zu dekonstruieren. Böhmermann dagegen führt auf geradezu sadistische Weise ihre Unschlagbarkeit vor. Er lotet die Grenzen des Systems nicht nur aus, er erweitert sie sogar. Das Exkludieren, Canceln, Denunzieren, das Niederbrüllen, die soziale Vernichtung des Andersdenkenden ist längst gelebte Normalität, ebenso das Anzünden ihrer Autos und die körperlichen Attacken samt den ergebnislosen Ermittlungen des Staatsschutzes. Um vor diesem Hintergrund noch Aufmerksamkeit zu generieren, braucht es stärkere Effekte. Zum Beispiel das Keulen.

„Ein Satiriker ist jemand, der den Elefanten Mausefallen stellt“, schrieb Ephraim Kishon. Im Roman „Ole Bienkopp“, der 1963 in der DDR erschien, nahm der Schriftsteller Erwin Strittmatter einen üblen Funktionärstyp in den Blick. Da die Partei von Gesetz wegen immer recht hatte, mußte er sich subtiler Mittel bedienen. Er verlieh einer dominanten Parteisekretärin den Namen Frieda Simson. Das war harmlos, doch eben diese Harmlosigkeit war die satirische Mausefalle: Simson war in der DDR eine populäre Fahrradmarke. Der aufmerksame Leser wußte Bescheid: Wer Rad fährt, buckelt nach oben und tritt nach unten.

Böhmermann stellt keine Mausefallen. Er wirkt als ZDF-Medienelefant, der Mäuse tottrampeln will. Er kühlt sein Mütchen an Leuten, die bereits von Staats wegen im Verschiß sind. Er ist der Enkel, auf den Frieda Simson stolz wäre. Seine Auftritte sind die Duplizierung der Staatsmacht und der staatsnahen Diskurse. In dem von oben geschürten kalten Bürgerkrieg konzentriert er sich auf weiche Ziele. Er führt Andersdenkende in ihrer praktischen Ohnmacht vor, demütigt sie, will sie demoralisieren, psychisch verletzen und einschüchtern. 

Dem FAZ-Medienredakteur Michael Hanfeld hat die Keulungsempfehlung durchaus mißfallen. Fälschlicherweise sieht er es in ein „Reiz-Reaktions-Schema“ eingebettet: „Aufgesetzte Empörung bei FPÖ und AfD sind eingepreist.“ Als würden sich hier Gegner mit Waffengleichheit begegnen. Böhmermann ist Agent und Sprachrohr eines Framings, das inzwischen wie ein massenhaftes Hirnimplantat wirkt. Zweitens ist das Riesen-Medium ZDF als semistaatliche Autorität selbst eine Botschaft. Was hier verbreitet wird, gilt als statthaft. Drittens schließlich erfolgte die Ansage im Kontext der staatlichen Anti-Rechs-Kampagne. Hanfelds Kollege Max Schäfer von der Frankfurter Rundschau hat die Situation präziser erfaßt: „Bleibt noch Böhmermanns Schlußwort, das zur Zeit auch als Wort zum Sonntag taugt: ‘Nicht immer die Nazi-Keule rausholen, sondern vielleicht einmal paar Nazis keulen.’“ Die Gewaltphantasie steht im Raum.

Unmittelbar nach der Nius-Kritik schien Böhmermann sich der Stubenreinheit seiner Wortwahl nicht ganz sicher gewesen zu sein. Auf X (vormals Twitter) replizierte er, Nius-Chef Julian Reichelt sei eine Spaßbremse, ein „humorloser Bauernfänger“, der eigene Gewaltphantasien auf andere projiziere und AfD und FPÖ wohl selber für Nazis halte. Dann zog er sich auf die Jugendsprache zurück, in der „keulen“ soviel wie masturbieren bedeutet. Eine für ihn typische Reaktion. Der Böhmermann-Typus ist nämlich auch ein Nachfahre des Diederich Heßling aus dem „Untertan“ von Heinrich Mann: „abhängig von Umgebung und Gelegenheit, mutlos, solange hier die Dinge schlecht für ihn standen, und von großem Selbstbewußtsein, sobald sie sich gewendet hatten“.

Im März 2016 hatte er ein Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten Erdoğan verlesen. Was dann folgte, hatte er nicht erwartet. Es hagelte Anzeigen, juristische Verfahren wurden eingeleitet. Es kam zu diplomatischen Verstimmungen, Kanzlerin Merkel mußte dem türkischen Staatsoberhaupt Genugtuung versprechen. Zudem war zu befürchten, daß wütende Erdoğan-Anhänger in Deutschland sich Böhmermann zur Brust nehmen würden. Er tauchte ab, stand unter Polizeischutz. „Ich fühle mich erschüttert in allem, an das ich je geglaubt habe“, postete er und wandte sich panisch an den Kanzleramtsminister Peter Altmaier. Er bitte nicht um Hilfe in seinem Fall, sondern um „Berücksichtigung meines künstlerischen Ansatzes und meiner Position, auch wenn er streitbar ist“.

Erdoğan aber war nur Mittel zum Zweck und Angela Merkel die eigentliche Zielscheibe gewesen. Im Zeit-Interview monierte er, „(daß) die Bundesregierung, statt eine langfristige, menschenwürdige Lösung für die Flüchtlingskrise zu finden, lieber einen fragwürdigen Pakt mit dem türkischen Unrechtsregime eingeht“. Zur Erinnerung: Dieser „Pakt“ sollte den Massenansturm, den Merkels Grenzöffnung 2015 ausgelöst hatte, verlangsamen und verdaulich machen. Grundsätzlich teilten Merkel und Böhmermann den bundesdeutschen Elitenkonsens, wonach jedermann Asyl in Deutschland beanspruchen und seine Menschenwürde verwirklichen darf und jeder Kritiker ein Nazi ist. Ihr Dissens war bloß taktischer Natur. Dieser Elitenkonsens hat das Land nach innen und außen komplett wehrlos gemacht. Nun war sein Propagandist selber zum Opfer der Wehrlosigkeit geworden und hatte schlichtweg Angst. 

Angst ist nichts Ehrenrühriges. Es kommt darauf an, wie man sich ihr stellt. Die Kontrastfigur zu Böhmermann ist der „Tagesschau“-Moderator Constantin Schreiber, der in Moscheen islamistische Predigten verfolgt und darüber berichtet hatte. Sein Roman „Die Kandidatin“ schildert die Vision einer feindlichen Übernahme. Daraufhin attackierten linke Aktivisten ihn auf offener Bühne, und ein muslimischer Taxifahrer signalisierte ihm, daß man ihn im Auge habe. Schreiber hat öffentlich thematisiert, daß er sich diesem Druck nicht gewachsen fühlt und er nicht möchte, daß sein Leben davon bestimmt wird. Er läßt die Finger von dem Thema in der Erwartung, daß man ihn und seine Familie im Gegenzug in Ruhe läßt. Er nimmt aber nichts zurück und wird nicht vom Paulus zum Saulus, indem er jene verhöhnt, die in Michael-Kohlhaas-Manier mit der Islam-Kritik fortfahren. In der Einsicht, daß er im gegebenen Kontext nichts mehr ausrichten kann, schweigt er. Es ist ein beredtes, nobles Schweigen.

Diese Noblesse geht Böhmermann ab. Henryk M. Broder war vielleicht auf der richtigen Spur, als er anläßlich der kritisierten Sendung die Frage aufwarf „ob das ‘Es’ in ihm laut gedacht hat“. Das „Es“ bezeichnet bei Freud den „dunkelsten und unzugänglichsten Bereich der menschlichen Person“, das „Lustprinzip“, das vom „Ich“, welches „die Vernunft und Besonnenheit“ repräsentiert, gezügelt wird. Es vermittelt zwischen den Ansprüchen der Außenwelt und den Triebbedürfnissen. Das „Ich“ steht unter dem Einfluß des „Über-Ich“, das die gesellschaftlichen Normen, die Moral, das Gewissen, die Pflicht, Schuldgefühle umfaßt. Sind die Vermittlungsinstanzen der Normen und Werte dysfunktional und autodestruktiv und kommen weitere ungünstige Konstellationen hinzu, dann mißrät das „Ich“ und läßt die dunklen Triebe flottieren.

Bei Arnold Gehlen heißt es: „In den Menschen, die sich gegnerschaftsunfähig machen und nur das bekommen wollen, was sie selber gewähren, nämlich Schonung, bleibt etwas wie ein kleiner diabolischer Keim, der die Freude an der Vernichtung des Wehrlosen bedeutet, das Thema der echten Horrorfilme.“ Sie zelebrieren nicht den kathartischen Untergang des Bösen, sondern das Böse, die Gemeinheit, die Niedertracht selbst.

Die Fotos, die Böhmermann beim Grimassieren zeigen, erinnern an Norman Bates (Anthony Perkins) in Hitchcocks „Psycho“ und an Jack Torrance (Jack Nicholson) in Stanley Kubricks „Shining“. Zufall? Absicht? Folgerichtig? Offenbaren sich hier ungewollt geheime Abgründe dieser Republik?


Foto: Jan Böhmermann: Seine Grimassen erinnern zuweilen an die psychopathischen Züge von Jack Torrance in dem Horrorfilmklassiker „The Shining“ nach Stephen King, gespielt von Jack Nicholson (o.)