© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/24 / 08 März 2024

„Verantwortungsvolle Richtungsentscheidung“
Wirtschaftspolitik: Robert Habeck macht die nächste 180-Grad-Wende und erlaubt die CO₂-Speicherung / Bald „grüne“ Zementproduktion?
Marc Schmidt

Mit Sonne, Windstrom und einer „Wasserstoffstrategie“ läßt sich theoretisch „Klimaneutralität“ herstellen, aber keine Industrie und Landwirtschaft am Leben erhalten. Die Kalk- und Zementherstellung, die Luftfahrt oder die Verwertung von Abfällen ist ohne CO₂-Emissionen undenkbar. Da diese laut Weltklimarat in die Klimakatastrophe führen, müssen sie gesenkt werden. Daher legte die EU-Kommission am 6. Februar ihr Konzept für ein „industrielles CO₂-Management“ (COM 2024/62) vor – inklusive der geologischen CO₂-Speicherung (Carbon Capture and Storage/CCS) und der CO₂-Abscheidung und -Nutzung (Carbon Capture and Use/CCU).

Das brachte Deutschland und den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck in Zugzwang – und erzwang jenen Kurswechsel, den schon der Evaluierungsbericht zum deutschen Kohlendioxid-Speicherungsgesetz (KSpG) vom Dezember 2022 anmahnte. Das 2012 in Kraft getretene KSpG der damaligen Merkel-Regierung untersagte praktisch CCS. Das erste deutsche CCS-Pilotprojekt in Brandenburg endete 2017, das Know-how wurde nach Kanada verkauft (JF 44/23). Habecks inszenierte sich als Kieler Umweltminister (2012 bis 2018) als radikaler Kämpfer gegen CCS, und er war damit nicht allein: „Niedersachsen will kein CCS, und wir bekommen kein CCS“, versprach auch der damalige CDU-Ministerpräsident David McAllister anläßlich der KSpG-Verabschiedung.

Ein CCS-Multimilliardengeschäft für das Erdgasland Norwegen

Doch wie bei den Waffenlieferungen in Kriegsgebiete oder dem Import von Flüssigerdgas (LNG) kommt nun die 180-Grad-Wende. „Wir treffen heute eine pragmatische und verantwortungsvolle Richtungsentscheidung: CCS und CCU sollen in Deutschland ermöglicht werden“, erklärte Habeck vorige Woche bei der Vorstellung seiner Carbon-Management-Strategie (CMS) und der KSpG-Reform. „Wir werden auch die Offshore-Speicherung erlauben“, denn ein Verzicht darauf würde „uns teuer zu stehen kommen“. Strittig ist aber, wieviel und welches CO₂ aus den Abgasen herausgefiltert, verflüssigt, transportiert und in unterirdische Hohlräume – etwa ehemalige Erdgaslager – verpreßt wird. Deutschland verfügt auf dem Festland nicht über ausreichende CO₂-Kavernen. Daher fühlte Olaf Scholz schon 2022 in Norwegen vor, und Ministerpräsident Jonas Gahr Støre bot an, CO₂ in den Hohlräumen der ausgebeuteten Erdgasvorkommen in 3.000 Meter Tiefe unter dem Nordsee-Meeresboden abzuspeichern. Das wäre ein neues Multimilliardengeschäft für das – laut Weltbank – fünftreichste Land der Welt.

Nach Habecks Zustimmung bleiben den Kritikern bei SPD und Grünen nur Rückzugsgefechte und das Versprechen, CCS nicht bei „fossilen Kraftwerken“ zu nutzen. Die Linken haben ein neues Wahlkampfthema: „Habeck will die Nordsee in ein riesiges CO₂-Endlager verwandeln und massenweise Fracking-Gas importieren“, ätzte deren Europawahlspitzenkandidatin Carola Rackete in der Augsburger Allgemeinen. CCS werde „die Klimakrise noch länger befeuern“. Denn die Energiewirtschaft hofft auf Ausnahmen für Gaskraftwerke, die die permanenten Schwankungen der Ökostromproduktion ausgleichen sollen. Da aber „grüner“ Wasserstoff in den kommenden 20 Jahren nicht bereitstehen wird, müssen die Kraftwerke auf teures LNG zurückgreifen, auf dem zusätzlich die steigende CO₂-Bepreisung lastet – oder CCS nutzen.

Lediglich die durch die AKW-Abschaltung in der Laufzeit verlängerten Kohlekraftwerke sollen von CCS ausgenommen sein, was Klagen der Kraftwerksbetreiber herausfordert. Auch Habecks grüner Landesverband Schleswig-Holstein kündigte bereits eine Fundamentalopposition gegen seine CMS-Strategie an. Doch die Grünen-Wählerschaft ist nibelungentreu und Habeck kann sich mit seiner CCS-Wende bei einem Teil der Wirtschaftsverbände wieder „einschmeicheln“.

Sich „grün“ verkaufende Firmen nutzen CCS bereits in Pilotprojekten. Der Dax-Konzern Heidelberg Materials, der mit seinen Zementwerken in aller Welt zu den größten Emittenten zählt, wirbt mit „CO₂-Neutralität bis 2050“ und seinem Brevik-CCS-Projekt in Norwegen, wo jährlich „400.000 Tonnen CO₂ abgeschieden und zur dauerhaften Lagerung transportiert werden“ sollen. Dies werde „uns in die Lage versetzen, die beim Zementproduktionsprozeß entstehenden Treibhausgasemissionen zu reduzieren“. Ob das außerhalb der EU jemand bezahlen will, ist eine andere Frage.

EU-Konzept für „industrielles CO₂-Management“: ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_24_585