© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/24 / 08 März 2024

Deutscher Leitindex auf Rekordhoch, aber kann das so weitergehen?
Börsenhausse trotz Rezession
Thomas Kirchner

Auf 17.817 Punkte ist der Dax am 1. März geklettert. Ein neuer Rekordstand, obwohl Deutschlands Wirtschaft in der Krise steckt. Pedanten entgegnen, daß es keine Rezession gibt, denn die offizielle Definition davon sind zwei Quartale nacheinander mit negativem Wirtschaftswachstum. Dank Revision der Zahlen war das dritte Quartal 2023 knapp positiv, erst das dritte schrumpfte wieder. Doch angesichts einer Schrumpfung um 0,3 Prozent im Kalenderjahr 2023 ist es unerheblich, ob die technische Definition erfüllt ist. Realität ist: es geht bergab. Seit dem zweiten Quartal 2022 liegt das Gesamtwachstum bei 0,0 Prozent.

Der Dax hingegen schwimmt im Fahrwasser Amerikas mit. Zum einen hilft das hohe Wachstum den Dax-Konzernen, deren Exportanteil höher ist als in der deutschen Wirtschaft. Zwar waren die Gewinne in der zweiten Jahreshälfte rückläufig, doch die Zukunft ist rosig: für die nächsten zwei Jahre wird ein Gewinnanstieg von 9,5 und 9,9 Prozent erwartet, Dividenden sollen ähnlich wachsen. Das ergibt eine Dividendenrendite von 3,6 bis 3,9 Prozent, deutlich über der Rendite einer zehnjährigen Bundesanleihe von 2,4 Prozent. Automobilwerte konnten kräftig zulegen, weil sich das langsame Ende des Elektoautobooms abzeichnet, in dem deutsche Hersteller lange als hoffnungslose Nachzügler galten. VW handelt immer noch beim nur 4,3fachen der für 2025 vorhergesagten Gewinne, Porsche Automobil beim 2,6fachen. Für Amazon und Nvdia ist es das 33fache, für Apple das 25fache.

Zusätzlich wirkt sich die Hausse der US-Börsen positiv aus. Getrieben wird sie vom Boom der KI-Aktien und Chiphersteller. Nvdia ist mit über zwei Billionen Dollar zur wertvollsten Firma nach Microsoft (3,1 Billionen) und Apple (2,7 Billionen) aufgestiegen und ist fast so viel wert wie alle 40 Dax-Firmen zusammen. Im Februar überschritt der New Yorker S&P 500 zum ersten Mal die 5.000er-Marke, und auch Japans Nikkei schaffte es, den Höchststand von 1989 wieder zu erreichen.

Auf den ersten Blick erscheinen deutsche Aktien, und europäische insgesamt, äußerst günstig im Vergleich zu amerikanischen. Der Dax handelt zum 15fachen der Unternehmensgewinne der letzten zwölf Monate, der europäische Stoxx 50 ungefähr gleichauf beim 16fachen. Der amerikanische S&P 500 ist mit 26,9 beinahe doppelt so teuer. Bei den für 2025 vohergesagten Gewinnen ist die Diskrepanz etwas geringer: das Zwölffache für den Dax, das 19fache beim S&P500.

Noch mehr schrumpfen die Unterschiede bei Betrachtung der Zusammensetzung der Indizes. Der amerikanische Vorsprung liegt an den dort vorherrschenden Technologieunternehmen, die eine hohe Bewertung haben. Europas und Deutschlands Börsen werden von traditionellen Industrien geprägt, die aufgrund ihres niedrigeren Wachstums geringer bewertet werden. Berücksichtigt man diese Unterschiede, sind Unternehmen in Europa nicht grundsätzlich wesentlich billiger. Für Anleger mag das von nachgeordneter Bedeutung sein, schließlich können sie ihr Kapital da anlegen, wo die Musik spielt.

Für die Gesamtwirtschaft ist es aber problematisch, wenn zukunftsorientierte Wachstumsbranchen Mangelware sind. SAP ist das einzige Technologiewunderkind deutschen Ursprungs. Lange war es auf dem absteigenden Ast, weil es die Entwicklung zur „Cloud“ verschlafen hatte. Das Dax-Schwergewicht SAP holte im Februar technisch auf und liegt in der Bewertung inzwischen auf US-Niveau.