© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/24 / 08 März 2024

„Offenbar sind viele zufrieden mit mir“
Gewerkschaft in Aufregung: Ein AfD-Politiker wird in den Personalrat eines großen kommunalen Betriebs gewählt – mit den meisten Stimmen
Christian Vollradt

Die Sache hat das Zeug zum Präzedenzfall. Denn normalerweise wäre die Wahl des Personalrats eines kommunalen Entsorgungsunternehmens kaum eine Schlagzeile wert. Doch daß es Jens Keller in die Arbeitnehmervertretung des Zweckverbands Abfallwirtschaft Region Hannover (aha) geschafft hat, wird landläufig nicht als Normalfall verbucht. Denn Keller ist nicht nur Mitglied der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, sondern auch der AfD. Und für die sitzt er als Fraktionschef im Stadtrat der niedersächischen Landeshauptstadt.  

Dort sind seitdem einige in Alarmstimmung. Denn mit rund 2.000 Beschäftigten zählt aha zu den größten Arbeitgebern in der Region. Ausgerechnet dort sitzt nun ein AfD-Mitglied im Personalrat. Und zu allem Überfluß, so mußte man in der grün-regierten Metropole feststellen, erzielte Keller das beste Ergebnis aller Kandidaten. 626 Mitarbeiter stimmten für ihn – mehr als für den amtierenden Personalratsvorsitzenden.

„Die Leute kennen mich, und offenbar sind viele Kollegen zufrieden mit meiner Arbeit als Vertrauensperson“, sagt Keller im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Sieben Jahre übt er dieses Ehrenamt in seinem Betrieb schon aus. Wie die rund 50 anderen Kandidaten habe er sich ganz normal in einer Versammlung vor etwa 300 anwesenden Kollegen vorgestellt. „Ich bin offen und ehrlich. Deswegen habe ich vor der Personalratswahl nicht verheimlicht, daß ich für die AfD im Stadtrat sitze.“  

„Dies war eine demokratische Wahl“

Bei der Gewerkschaft ist man gar nicht amüsiert. Man habe die Wahl Kellers zur Kenntnis genommen, teilte Verdi mit. „Nach wie vor sind wir der Überzeugung, daß die Ausübung einer aktiven Funktion bei der AfD nicht einhergehen kann, mit einer Mitgliedschaft in der Gewerkschaft Verdi“, teilte die Leiterin des Landesbezirks Niedersachsen-Bremen, Andrea Wemheuer, mit. Denn dort trete man „seit langem auch für Vielfalt, Solidarität und Antirassismus ein“. Daher prüfe die Dienstleistungsgewerkschaft noch, ein Ausschlußverfahren gegen Keller einzuleiten.

Daß die Gewerkschaft nun ein Ausschlußverfahren prüft, nimmt der 49jährige betont gelassen. „Wenn es soweit kommen sollte, ziehen wir das durch alle Instanzen durch“, kündigte Keller schon einmal an. Ohnehin werde in seiner Firma das Ganze gar nicht so hochgekocht, wie derzeit in der medialen Berichterstattung der Eindruck erweckt wird. „Dies war eine demokratische Wahl. Alle Versuche, sie im Vorfeld zu beeinflussen, blieben erfolglos“, zeigt sich das Personalratsmitglied überzeugt. Und so ganz überraschend ist das Ergebnis vielleicht auch gar nicht. Bereits 2017, als die AfD erstmals in den Bundestag einzog, fiel die Zustimmung für die Partei unter Gewerkschaftern mit 15 Prozent erkennbar besser aus als in der Gesamtwählerschaft (12,6 Prozent).

Mittlerweile meldete sich sogar der Präsident der Region Hannover, Steffen Krach (SPD), zu Wort und forderte angesichts der Keller-Wahl, „Rechtsextremismus in Unternehmen“ zum Thema zu machen. Der oberste Repräsentant und Verwaltungschef des Umlands der Landeshauptstadt ist quasi Mit-Dienstherr des Entsorgungsbetriebs. Auch die aha-Geschäftsführung betonte, alle Führungskräfte stünden für eine offene Gesellschaft, zu der Rechtsextremismus nicht passe. 

„Als Gewerkschafter vertritt man die Interessen aller Angestellten“, stellt Keller gegenüber der jungen freiheit klar. „Da kommt es nicht auf Herkunft oder Hautfarbe und auch nicht auf die parteipolitische Einstellung des einzelnen an“, betont der gelernte Schlosser. „Ich bin zum Beispiel auf dem Lastwagen mit Kollegen gefahren, die aus Tunesien stammen, da gab es nie Probleme zwischen uns.“ Deswegen sieht vor Ort offenbar alles etwas entspannter aus. „Die Rückmeldungen im Betrieb, die ich nach meiner Wahl bekommen habe, waren positiv; sowohl von seiten der Arbeiter als auch aus den Reihen der Verwaltungsangestellten“, schilderte der frischgebackene Personalrat seine Eindrücke.  

Der werde in dem Gremium, das sich kommende Woche konstituiert, wahrscheinlich „isoliert“, zitierte die Hannoversche Allgemeine eine aha-Mitarbeiterin. Fraglich, ob das angebracht ist; gegenüber jemandem, für den fast die Hälfte der Wähler stimmte.