© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/24 / 08 März 2024

Mit angezogener Handbremse ermittelt?
Attacke auf AfD-Chef: Der Anwalt von Tino Chrupalla geht gegen die Einstellung des Verfahrens vor / Politiker spricht von einem „Justizskandal“
Frank Hauke

Daß die Ermittlungen bezüglich des mutmaßlichen Anschlags während einer Wahlkampfveranstaltung in Ingolstadt eingestellt wurden, will AfD-Chef Tino Chrupalla nicht hinnehmen. Der Politiker hat nun über den bekannten Berliner Strafverteidiger Khubaib-Ali Mohammed, der auch als Nebenklage-Anwalt Opfer des NSU-Terrors vertrat, Beschwerde eingelegt. In seinem Schreiben an den in München zuständigen Oberstaatsanwalt Maximilian Laubmeier, das der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, heißt es: „Die von der Staatsanwaltschaft Ingolstadt geführten Ermittlungen sind stark lückenhaft. Der Fall kann unter keinem denkbaren Gesichtspunkt als ausermittelt betrachtet werden.“ Auch aufgrund der „Stellung des Verletzten als Verfassungsorgan“ hätte eine „bestmögliche Sachverhaltsaufklärung“ erfolgen müssen. Doch dieser Maßstab sei „bei weitem nicht erreicht“ worden.

Chrupalla sagte der jungen freiheit: „Wenn man alle Versäumnisse zusammen betrachtet, handelt es sich hier um einen Justizskandal.“ Der Angriff auf einen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag und damit ein Verfassungsorgan sei „nicht als politisch motiviert, sondern wie eine Rummelschlägerei behandelt“ worden. Die Ermittlungen zum 2015 verübten Messer-Anschlag auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker habe damals dagegen sofort die Generalbundesanwaltschaft an sich gezogen.

Kritik an Rolle des Verfassungsschutzes 

Ob er vermutet, die Staatsanwaltschaft könnte aufgrund der Weisungsgebundenheit durch das bayerische Justizministerium so lückenhaft ermittelt haben? Chrupalla: „Jeder Jurist sagt mir, daß ein Anschlag auf einen Fraktionsvorsitzenden sofort über die höchsten Tische geht. So etwas hat Priorität. So etwas macht keine örtliche Staatsanwaltschaft mit sich selbst aus.“ 

Auch ein medizinisches Gutachten des Städtischen Klinikums Dresden, in dem sich der verletzte Politiker nachversorgen ließ, fand keinen Eingang in die Ermittlungsakte. Dies hatte eine Einstichverletzung und einen „Stichkanal“ bestätigt. Eine wichtige Rolle bei der Beschwerde Chrupallas bei der Generalstaatsanwaltschaft in München spielt auch der Inlandsgeheimdienst. Anwalt Mohammed hatte im November angeregt, bei den Landesämtern für Verfassungsschutz Bayern und Sachsen Anfragen zu stellen, „die zur Sachverhaltsaufklärung beitragen könnten“. Denn es sei „mehr als naheliegend“, so heißt es nun in der Beschwerde, „daß der Bundesvorsitzende einer Partei, die für den Verfassungsschutz ein ‘Beobachtungsfall’ ist, auch tatsächlich bei öffentlichen Veranstaltungen und Auftritten beobachtet wird“. Diese Mitarbeiter hätten den Angriff auf Chrupalla gesehen haben können und, so meint es der Anwalt, als Zeugen befragt werden müssen.

Dem gab der ermittelnde Staatsanwalt zunächst auch statt. Doch als nach drei Wochen keine Antwort der Geheimdienstbehörden einging, verfügten die Ermittler am 15. Dezember 2023, daß es final keine Reaktion gebe, damit auch nicht mehr zu rechnen sei, und verfolgten die Spur nicht weiter. Vier Tage später stellten sie das gesamte Verfahren ein. Die Verfassungsschutzämter seien jedoch „gesetzlich verpflichtet“ gewesen zu antworten, stellt Mohammed klar: „Eine Rücknahme eines Ermittlungsauftrags drei Wochen nach Erteilung wegen vermuteter Erfolglosigkeit ist mit dem gesetzlich normierten Amtsaufklärungsgrundsatz nicht vereinbar.“

Ein weiterer Teil der Beschwerde betrifft die beiden Männer, die ein Selfie mit Chrupalla machten. Unmittelbar danach war der AfD-Politiker zusammengebrochen. Sein Personenschützer fand kurz darauf auf dem Boden eine Nadel, die möglicherweise als Waffe benutzt worden war. Die beiden hatten sich laut Zeugen unmittelbar danach mit einem polizeibekannten Linksextremisten unterhalten. In der Beschwerde heißt es: „Bereits der räumlich-zeitliche Zusammenhang des Tatortes mit der Selfiesituation und zum Auffindeort der möglichen Tatwaffe ist nach kriminalistischer Erfahrung ausreichend zur Bejahung eines Anfangsverdachts.“ Ihm seien „als Opfer eines Anschlags in einem Rechtsstaat Grundrechte verwehrt“ worden, monierte Chrupalla.