© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/24 / 08 März 2024

Fort, Taurus
Affäre: Nach dem abgehörten Gespräch der Luftwaffen-Offiziere steht Berlin ziemlich blöd da
Peter Möller

Es war für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) das mit Abstand intensivste Wochenende seiner bisherigen Amtszeit. Am Freitag vergangener Woche schlug die Nachricht, daß russische Medien den Mitschnitt eines knapp 38 Minuten langen Gespräches des Inspekteurs der Luftwaffe, Ingo Gerhartz, mit drei Offizieren veröffentlicht hat, buchstäblich wie ein Marschflugkörper im Berliner Bendlerblock ein. Denn der Inhalt des Gespräches drehte sich um die vieldiskutierte Lieferung von Marschflugkörpern des Typs Taurus. 

Detailliert besprachen die Luftwaffenoffiziere die praktische Umsetzung einer möglichen Lieferung und, besonders brisant, potentielle Ziele für die Marschflugkörper im Krieg Rußlands mit der Ukraine, wie etwa die für die Versorgung der russischen Invasionstruppen wichtige Krim-Brücke. Für die Bundesregierung ist die Abhöraffäre ein Desaster, dessen außen- und bündnispolitische Folgen noch gar nicht absehbar sind. Für Bundeskanzler Olaf Scholz, der von einer „sehr ernsten Angelegenheit“ sprach, ist die Veröffentlichung besonders pikant, da er erst in der vergangenen Woche die Lieferung von Taurus an die Ukraine abgelehnt hatte – unter anderem mit dem Hinweis, daß für die Bedienung des Marschflugkörpers der Einsatz deutscher Soldaten in der Ukraine notwendig sei. Ausgerechnet diese Begründung wird durch das abgehörte Gespräch in Zweifel gezogen.

Doch wie ist es den Russen überhaupt gelungen, das brisante Gespräch mitzuschneiden? Nach Angaben von Pistorius wurde die Telefonkonferenz über die Videokonferenzsoftware WebEx des amerikanischen Softwareunternehmens Cisco geführt. Das Programm, das bei der Bundeswehr und anderen Regierungsbehörden durchaus üblich ist und vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) geprüft wurde, darf bei der Bundeswehr nur für die niedrigste Geheimstufe „Verschlußsache – Nur für den Dienstgebrauch“ eingesetzt werden. Das BSI hatte in der Vergangenheit vor Schwachstellen in der WebEx-Software gewarnt. 

„Es muß endlich Schluß sein mit unserer Naivität“

Möglicherweise spielt bei der Abhöraffäre die Tatsache eine Rolle, daß sich ein Brigadegeneral aus einem Hotel in Singapur über einen unsicheren Zugang eingewählt hatte. Der stellvertretende Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, Roderich Kiesewetter (CDU), brachte ein mögliches Szenario ins Spiel: „Es verdichten sich leider Hinweise, daß offensichtlich ein russischer Teilnehmer sich in die Webex eingewählt hat und daß offensichtlich nicht auffiel, daß dort eine weitere Zuwahlnummer war“, sagte er in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ und stellte grundsätzlich die Frage nach Kommunikation innerhalb der Bundeswehr: „Warum wird so ein sensibles Thema überhaupt über Webex behandelt? Warum hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik nicht niedrigschwellige Zugänge zu entsprechenden geschützten Informations- und Videokonferenzsystemen?“

Von einer „Mangelsituation der Kommunikationsmittel“ in der Bundeswehr sprach in diesem Zusammenhang der Vorsitzende der Politisch-Militärischen Gesellschaft, Ralph Thiele. „Wie sollen denn die Leute miteinander kommunizieren, wenn der Bund ihnen die Mittel dazu nicht gibt?“, sagte er dem Magazin Cicero. Es werde im Grunde davon ausgegangen, daß die Beamten und Offiziere Sicherheitsvorschriften biegen oder sogar brechen, um vernünftig miteinander arbeiten zu können. „Das heißt natürlich nicht, daß die Generäle nicht trotzdem etwas falsch gemacht haben“, sagte Thiele. Wobei der ehemalige Luftwaffen-Oberst einräumte, daß alles, was die Militärs zum Marschflugkörper Taurus besprochen hätten, für Experten – auch gegnerische – „vermutlich keinen wirklichen Neuigkeitswert“ habe. Wer auch immer an einer Veröffentlichung interessiert gewesen sei, wollte wohl in erster Linie die Bundesregierung bloßstellen. 

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), nahm unterdessen die Spionageabwehr in den Blick. „Es muß endlich Schluß sein mit unserer Naivität“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Cyberangriffe, Spionage und Desinformation seien massiv angestiegen. „Wir müssen dringend unsere Sicherheit und Spionageabwehr erhöhen, denn wir sind auf diesem Gebiet offensichtlich vulnerabel.“ 

Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Rüdiger Lucassen, kritisierte den Militärischen Abschirmdienst (MAD): Dieser habe zum wiederholten Mal versagt. „Weder ist der MAD in der Lage, Gespräche auf höchster Ebene der Bundeswehr zu schützen, noch ist es der Behörde offenbar gelungen, Soldaten der Führungsebene im Umgang mit sensiblen Informationen ausreichend zu schulen und zu sensibilisieren“, sagte Lucassen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die durch ihre fachliche Zuständigkeit für das BSI mittelbar von der russischen Lauschattacke betroffen ist, hat dagegen die Abwehrbereitschaft der deutschen Geheimdienste bekräftigt. „Putins Propaganda-Apparat will unseren Staat diskreditieren, die Meinungsbildung manipulieren und unsere Gesellschaft spalten“, sagte sie der Funke-Mediengruppe. „Wir haben unsere Schutzmaßnahmen gegen Spionage und Desinformation weiter hochgefahren und reagieren laufend auf aktuelle Entwicklungen.“ Die Spionageabwehr beim Bundesamt für Verfassungsschutz sei personell und technisch deutlich verstärkt worden. Die Bekämpfung der Aktivitäten der russischen Nachrichtendienste bleibe ein wesentlicher Schwerpunkt der Spionageabwehr.

Unterdessen werden die Rufe nach Konsequenzen aus der Abhöraffäre immer lauter. Die AfD-Bundestagsfraktion beantragte am Wochenende eine zeitnahe Unterrichtung durch das Verteidigungsministerium und brachte eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses ins Gespräch. Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Alexander Dobrindt, ging noch einen Schritt weiter und brachte einen Untersuchungsausschuß des Bundestages ins Spiel. Boris Pistorius stärkte den betroffenen Offizieren zumindest vorerst den Rücken: „Wenn nicht doch noch Schlimmeres herauskommt, werde ich sicher nicht meine besten Offiziere für Putins Spielchen opfern“, sagte er am Dienstag.