© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/24 / 08 März 2024

Der Schoß ist fruchtbar noch
Linksextremismus: Nicht nur RAF-Rentner können auf ein staatlich geduldetes Unterstützermilieu zählen
Ulrich Clauẞ

Es schien zunächst wie eine Flaschenpost aus der Vergangenheit. Als die Nachricht von der Festnahme der mutmaßlichen RAF-Terroristin Daniela Klette (65) die Runde machte, mag mancher gestutzt haben. Daniela wer? Ach ja, die RAF, die „Rote Armee Fraktion“ – aber hat die sich nicht schon im vorigen Jahrhundert aufgelöst? Neben das uralte Fahndungsfoto aus Klettes Jugendzeit Ende der 1970er Jahre trat das Gegenwartsbild einer älteren Frau mit müden Augen, das ergraute Haar nachlässig dunkel gefärbt – eine Ikonographie der Tragik dieses weggeworfenen Lebens.

So also sieht eine Staatsfeindin im Ruhestand aus, nach mehr als drei Jahrzehnten im Untergrund? Von Jugend an in utopische Gewaltphantasien verstrickt, nun alt und gescheitert, wurde sie aus einem prekären Quartier gezerrt. Aber was hat das noch mit uns zu tun? Sind nicht alle Taten aus RAF-Zeiten, die Klette zur Last gelegt werden, längst verjährt? Fehlen nicht stichhaltige Beweise für ihre Beteiligung an auch nur einem der Dutzenden von RAF-Morden? Das fragten sich viele. Und manche spitzten solche Fragen sogar zum Vorwurf zu. Die taz beklagt staatliche „Härte statt Vernunft“ und „Hysterie“ im Umgang mit Klette.

Die Realität dementierte solche Verirrungen bald: Hinweise auf jüngste Treffen mit ebenfalls lang gesuchten Kampfgenossen aus Klettes dritter RAF-Generation kamen ans Licht. Sie war also wohl doch bis zuletzt im Unruhestand. Dann trugen die Ermittler Munition, Sprengstoff, Schnellfeuergewehre und eine Panzerfaust aus ihrer Kreuzberger Behausung. Schwere Kriegswaffen, wie sie bei Raubüberfällen zwischen 1999 und 2016 zum Einsatz kamen, an denen Klette beteiligt gewesen sein soll. Wie konnte all das so lange unentdeckt bleiben, wundert sich nun das ganze Land. Ohne ein Netzwerk, ein wohlwollendes Milieu in ihrem Umfeld, ist dies in der Tat nicht denkbar. Dieses Milieu hat sich dann auch postwendend zu Wort gemeldet und nicht nur im Berliner Stadtbild Spuren hinterlassen. Schien die Causa Klette zunächst wie aus einer Zeitkapsel geholt, rückte sie binnen weniger Tage mitten in unsere Gegenwart.

Einschlägige Graffiti tauchten auf. „Viel Kraft Daniela – und viel Glück Burghard & Volker“, in Anspielung auf Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub, die ebenfalls als RAF-Komplizen seit Jahrzehnten gesucht werden. Journalisten berichten von unverblümten Sympathiebekundungen. „Da habe ich jahrelang neben der Genossin gewohnt, das gibt’s ja nicht“, so wird ein Passant vor Klettes ausgehobenem Unterschlupf zitiert, der sich anschließend mit „Rotfront“ verabschiedete.

Dabei bedarf es dieser anekdotischen Evidenz für die Existenz terroroffener Subkulturen in unserem Land gar nicht. Schließlich gibt es ein seit langem polizeibekanntes offizielles Netzwerk dieser Biotope. Es heißt „Rote Hilfe“ und ist als eingetragener Verein mit über 14.000 Mitgliedern die derzeit am schnellsten wachsende linksextremistische Organisation in Deutschland. So sieht es der Verfassungsschutz. Nun sagen Verfassungsschützer derzeit viel, wenn der Tag lang ist und vor allem, seit Bundesinnenministerin Nancy Faeser sie als Wahlhelfer gegen die parlamentarische Opposition losschickt. Es ist eben jene Bundesinnenministerin, die neuerdings gegen „Haß und Hetze“ schon „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ das Bundeskriminalamt in Marsch setzen will, „gegen Rechts“ versteht sich. Was nichts anderes heißt, als daß die Verfassungsministerin in einem Anfall kreativer Rechtsschöpfung gleich zweigleisig exekutiv und judikativ vorgehen will.

Die Extremisten von der „Roten Hilfe“ haben derartiges von Faeser offenbar nicht zu befürchten, obwohl kein vernünftiger Zweifel daran besteht, daß der Verein zur terroraffinen, linksextremistischen Sympathisantenkultur gehört. Aber diese Genossen sind gut vernetzt mit anderen Genossen. 2018 sprach sich ein Juso-Bundeskongreß mehrheitlich gegen das damals diskutierte Verbot der „Roten Hilfe“ aus. Mit Franziska Drohsel gehörte dieser sogar eine Juso-Vorsitzende an. Die mutmaßliche RAF-Terroristin Daniela Klette begann in den 1970ern als noch nicht volljährige Jugendliche ihre Radikalisierung genau dort.

Aus ihrer staatsfeindlichen Verachtung für „das System“ hat die „Rote Hilfe“ nie einen Hehl gemacht. Nur wer auf jegliche Zusammenarbeit mit Staat und Ermittlungsbehörden verzichtet, wird von ihr unterstützt. Zur Festnahme von Daniela Klette schrieb die „Rote Hilfe“ auf ihrer Homepage: Diese Festnahme sei „das Ergebnis einer jahrzehntelangen Verfolgungswut und dem staatlichen Rachebedürfnis gegen ehemalige Mitglieder der Stadtguerilla-Gruppen“. Zu erwarten sei „ein politisch motivierter Gesinnungsprozeß“, wie er auch gegen „antifaschistische Gruppen“ Praxis sei.

Mit „antifaschistischen Gruppen“ ist zum Beispiel die Leipziger „Hammerbande“ gemeint. Vier ihrer Mitglieder wurden im Mai 2023 wegen gefährlicher Körperverletzung und Bildung einer kriminellen Vereinigung unter Obhut der „Roten Hilfe“ zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Unter anderem sollen sie mit Zimmermannshämmern auf ihre Opfer losgegangen sein. Das mag angesichts technologisch hochprofessioneller Terrorpraktiken der dritten RAF-Generation geradezu archaisch erscheinen. Gleichwohl fühlen sich die jüngeren Links-Desperados mit den Altvorderen aus den RAF-Generationen I bis III in gegenseitiger Solidarität eng verbunden. 

An der nächsten Generation wird bereits gearbeitet. Wie die gewaltsamen Waldbesetzungen und Pipeline-Sabotagen selbsternannter Weltenretter gezeigt haben, ist es Linksautonomen gelungen, Teile der „Klimaschutz“-Bewegung zu unterwandern. Als Brückenorganisation fungiert dabei die „Interventionistische Linke“, die angesichts der „Klimakrise“ den „Fluchtpunkt einer anderen Gesellschaftsordnung“ propagiert. Wo Menschen in die Frustration unerfüllbarer Utopien getrieben werden, suchen einige dann immer nach eigenen Fluchtpunkten. Das ist heute nicht anders als zur Zeit der ersten RAF-Generation. Am Ende liegt die Panzerfaust im Keller und es heißt, wie damals, als alles begann: „… und natürlich kann geschossen werden“ (Ulrike Meinhof, 1970). Aber solche Flaschenpost aus der Vergangenheit braucht es gar nicht. Diese Tradition ist sehr lebendig, wie offenbar jüngste linksterroristische Anschläge auf die Bahn oder Anfang dieser Woche auf die Stromversorgung der Tesla-Fabrik in Brandenburg zeigen. Oder um es mit Bertolt Brecht zu sagen: „Daß keiner uns zu früh da triumphiert. Der Schoß ist fruchtbar noch ...“