Paßte das zusammen? Die bärtigen Rebellen der kubanischen Revolution und ihr meist in olivgrüner Uniform auftretender, redegewandter und charismatischer Anführer Fidel Castro auf der einen, und die staubtrockenen, in graue Anzüge gekleideten, Reden mühsam ablesenden SED-Funktionäre und ihr nuschelnder Parteichef Walter Ulbricht auf der anderen Seite. Hier eine kleine Tropeninsel, die mutig ihre Unabhängigkeit behaupten wollte, und dort das zerbombte, ausgeplünderte, von einer fremden Armee besetzte und in den vierzig Jahren seiner Existenz stets fremdgesteuerte Gänsefüßchenland.
Antonia Bihlmayer geht in ihrem Werk „DDR-Sozialismus in der Karibik? Die ostdeutsche Kuba-Politik zwischen 1959 und 1989“ der Frage nach, wie der kubanische und der SED-Staat zueinander standen und ob letzterer auf die Revolution in der Karibik Einfluß nehmen konnte. In diesem Zusammenhang stellt sie eine kühne These auf: Ging die Forschung lange Zeit davon aus, daß die DDR-Außenpolitik größtenteils den Direktiven aus Moskau unterworfen war, „werden auf Kuba Freiräume sichtbar, die eher auf eine lockere Kooperation der Ostblockstaaten untereinander und ein wenig dirigistisches Auftreten des Kremls während der 1960er Jahre hinweisen“.
Im Gegensatz zur Verlagswerbung, die bislang unveröffentlichtes Quellenmaterial aus deutschen und kubanischen Archiven ankündigt, räumt Bihlmayer ein, lediglich Einblick in wenige Dokumente aus dem kubanischen Außenministerium (Minrex) erhalten zu haben. Deswegen rekrutiert sich die Arbeit zu etwa achtzig Prozent aus deutschen und lediglich zu rund zwanzig Prozent aus kubanischen Quellen, einschließlich von Beiträgen aus Zeitungen und Zeitschriften.
Bihlmayer unterscheidet zwischen zwei Phasen in den bilateralen Beziehungen: 1959 bis 1974 und 1975 bis 1990. Im ersteren Zeitraum befanden sich die beiden deutschen Staaten im Wettbewerb um internationale Anerkennung. Kuba sollte für die DDR der Türöffner für Lateinamerika sein. Auch sah es die SED als ihre Aufgabe, Castros „Urwald-Kommunismus“ durch eine sozialistische Zivilisierungsmission à la DDR ins richtige Fahrwasser zu führen, die unreife kubanische Führung von allen anarchistischen Elementen zu befreien und unter die Fittiche einer marxistisch-leninistischen Partei zu stellen. Bihlmayer bescheinigt den Einheitssozialisten sogar, mit ihrer Selbstwahrnehmung eine Art „Hegemonialmacht“ darzustellen. Aber auch hier ist die Quellenlage dünn. Nachweisbar ist lediglich, daß im Berliner Politibüro eine kommunistische Partei, die keine Kader ausbildete, keine Parteitage abhielt, keine Parteidisziplin durchsetzte, sondern sich allein von Castro und wenigen „linksextremistischen“ Unruhestiftern führen ließ, Unbehagen auslöste.
Zwei arme Länder versuchten, sich gegenseitig auszutricksen
Mit der Anerkennungswelle für beide deutsche Staaten ab 1973 verlor Kuba für die SED seine „Brückenkopf-Funktion“. Fortan war es vor allem als Handelspartner interessant. Zwei arme Länder versuchten, sich gegenseitig auszutricksen. Meistens ging es um den Preis für den Zucker. Mit diesem deckte die DDR nicht nur den eigenen Bedarf, sondern ließ sich auch das Recht des Reexports einräumen, um so im Westen wichtige Devisen einzuspielen. Für Castro war der Zucker wiederum ein Instrument, um die SED unter Druck zu setzen. Stieg der Zuckerpreis auf dem Weltmarkt, drohte er mit Lieferstopp, so daß in der DDR Worst-Case-Szenarien durchgespielt wurden. Fiel der Preis dagegen, forderte Kuba unentgeltliche „kommunistische Hilfeleistung“.
Irgendwie schafften es die SED-Planwirtschaftler, zwischen 1986 und 1990 um die 480 Rubel pro Tonne zahlen zu müssen, während die Sowjet-union den Preis lediglich von 915 auf 850 Rubel drücken konnte – was noch immer weit über den Weltmarktpreisen lag. „Wie diese verhältnismäßig große Preisdifferenz zustande gekommen war, ist aus den Quellen nicht ersichtlich“, schreibt Bihlmayer. Auch deute nichts darauf hin, daß über die Preispolitik erneute Diskussion zwischen Havanna und Berlin gegeben habe. Der „einzig sichtbare Erfolg, der allein auf das Konto der DDR zurückgeht“ sei letztlich der ab Ende der 1960er Jahre eingeführte Mathematikunterricht geblieben, schreibt die Autorin. Nach 1990 zeigte sich Fidel Castro frustriert, daß sich das wiedervereinigte Deutschland so verhielt, als hätten die dreißigjährigen Beziehungen überhaupt nicht existiert.
Seltsam mutet an der Dissertation an, daß die Autorin den Anschein erweckt, als hätten DDR-Bürger frei auf die Tropeninsel reisen und sich auch außerhalb des staatlichen Aktionismus für Kuba engagieren können. Schlichtweg falsch ist die Behauptung Bihlmayers, das (nie vollendete) Atomkraftwerk bei Cienfuegos sei von der „DDR in Zusammenhang mit dem RGW“ errichtet worden. Als Quelle für ihre Behauptung nennt die Autorin ein undatiertes DDR-Dokument aus dem Bundesarchiv, ohne aber dessen konkreten Inhalt wiederzugeben. Da wundert es dann wenig, daß Bihlmayer die von der DDR gelieferten Anlagen und Ausrüstungen als meist mangelhaft und alles aus dem Ostblock exportierte als „technologisch veraltet“ bezeichnet.
Auch für jeden Kuba-Reisenden deutlich sichtbare Details beschreibt sie unkorrekt, so wenn sie „noch heute alte Simson-Mopeds, Trabis und sonstige antik-ostdeutsche Vehikel“ auf Kubas Straßen „zirkulieren“ läßt: Bei den Zweirädern handelt es sich um MZ- oder Jawa-Motorräder, bei den Autos um sowjetische Ladas, Moskwitsch und bestenfalls noch tschechische Skoda Octavias. Spätestens an dieser Stelle wird spürbar, daß Bihlmayer, Jahrgang 1984, trotz eines Kurzzeitaufenthalts in Havanna von Kuba nur wenig weiß. Andererseits ist ihre Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam angenommen worden, und als Zweitgutachter fungierte kein Geringerer als der ausgewiesene Kuba-Kenner Michael Zeuske. Warum dieser nicht auf exakte und nachvollziehbare Quellennachweise für die vielen erstaunlichen Behauptungen Bihlmayers drang, bleibt sein Geheimnis.
Foto: Erich Honecker mit Fidel Castro während des Staatsbesuchs im „sozialistischen Bruderland“ Kuba, Havanna 1974: Staubtrockene Funktionäre in grauen Anzügen treffen bärtige Rebellen ohne Kaderdisziplin
Antonia Bihlmayer: DDR-Sozialismus in der Karibik? Die ostdeutsche Kuba-Politik zwischen 1959 und 1989. Bebra Wissenschaft Verlag, Berlin 2023, gebunden, 400 Seiten, 30 Euro