© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/24 / 01. März 2024

Vom Umgang mit der Tapferkeit
Gegenwärtig leben nur noch zwei Ritterkreuzträger: Die höchste deutsche Auszeichnung des Zweiten Weltkriegs fasziniert bis heute
Martina Meckelein

 



Am 1. September 1939 stiftete Adolf Hitler das Ritterkreuz und schuf damit den Orden, der den Pour le Mérite (französisch „Für das Verdienst“), gestiftet von Friedrich II. und bis 1918 in Preußen an Offiziere verliehen, ersetzte. Bis 1945 wurde das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes, so sein voller Name, für herausragende Tapferkeit und erfolgreichen Kampfeinsatz 7.318mal verliehen, oder waren es doch nur 7.175mal? Heute leben noch zwei seiner Träger: Heinz Rafoth und Hugo Broch. Beide sind über 100 Jahre alt. Im Laufe ihres Lebens gaben sie, wie auch viele ihrer Kameraden, der Presse Interviews. Heute wollen sie sich nicht mehr erklären. Nicht, daß schon alles gesagt worden wäre, wohl eher aus dem einfachen Grund, nicht schon wieder falsch verstanden zu werden. Eine Betrachtung über den Umgang mit dem Gedenken an herausragende Soldaten. Die Spurensuche führt nach Zittau.

„Herzlich willkommen“, sagt Peter Hild vor dem Eingang seines für die Region typischen Umgebindehauses. Draußen ist es bitter kalt, der Atem scheint zu gefrieren. Drinnen prasselt ein Feuer im Kamin. Der Historiker hat schon Fotobände, Folianten, Auszeichnungen und signierte Fotos auf den beiden Sofas im Wohnzimmer zurechtgelegt. „Der weiß, welcher Ritterkreuzträger wo und wann gehustet hat“, schätzte vor der Abfahrt ins Dreiländereck ein Kollege Hilds Kenntnisse ein. Hild war ein Jahr Geschäftsführer der Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger (OdR). Doch erst einmal ein kurzer Rückblick auf das Fundament des Ritterkreuzes: das Eiserne Kreuz.

Letzte Worte: „Auf Wiedersehen, sehen uns in Walhalla“

Am 10. März 1813 stiftete König Friedrich Wilhelm III. in Breslau den Orden vom Eisernen Kreuz. Die Idee stammte von Scharnhorst, die Vorgaben vom König selbst, die Umsetzung von Schinkel und das Stiftungsdatum von der drei Jahre zuvor verstorbenen Königin Luise. Denn an dem Tag wäre sie 37 Jahre alt geworden. Das Eiserne Kreuz war sowohl an Mannschaftsdienstgrade wie auch an Generale gleichermaßen zu verleihen. Pures Dynamit in jener feudalistischen Zeit. Angedacht war das zweistufige Tatzenkreuz, optisch angelehnt dem Deutschen Ritterorden, vom preußischen König nur für die Befreiungskriege. Doch daraus wurde nichts, wie so oft in der Geschichte. Neuauflagen gab es 1870/71, 1914/18 und dann 1939/45.

Voraussetzung für die dritte Stufe, also dem 1939 gestifteten Ritterkreuz, war der Besitz des EK 2 und 1. Die vierte Stufe – das Großkreuz des Eisernen Kreuzes – wurde 1940 nur ein einziges Mal verliehen. Im Laufe des Zweiten Weltkrieges hatte das Deutsche Reich insgesamt etwa 18 Millionen Soldaten unter Waffen,  davon zwei Millionen ausländische Bürger in deutschen Uniformen und eine halbe Million Frauen. Im Laufe des Zweiten Weltkrieges wurden zusätzlich zum Ritterkreuz vier weitere Stufen kreiert und insgesamt 1.078mal verliehen: 890mal mit Eichenlaub, dazu die Schwerter 160mal, mit Brillanten 27mal und ein einziges Mal das goldene Eichenlaub mit Schwertern und Brillanten zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes. Damit wurde Oberst der Luftwaffe Hans-Ulrich Rudel ausgezeichnet. 

Die so Ausgezeichneten genossen höchstes Ansehen. Fototermine, Wochenschauberichte, eigene Autogrammkarten. Am 8. Mai 1945 war damit Schluß. Wer überlebte, marschierte meist in Gefangenschaft, wie Erich Hartmann, Gerhart Schirmer und Oberst Hajo Herrmann, über zehn Jahre nach Sibirien. Es grenzt an Wunder, daß einige Gefangene ihre Orden, die Jahre währende Lagerhaft, vor Plünderungen durch West-Alliierte und Sowjets retten konnten. „Ich habe einmal mit einem Ritterkreuzträger gesprochen“, erzählt Hild, „der mir seinen Trick verriet. Er hatte den Orden in einem durchgeschnittenen Stück Seife eingebettet und so über 8 Jahre Gefangenschaft hinweggerettet.“ Diejenigen, die in die Heimat zurückkamen, mußten sich in der neu geschaffenen Welt mit ihren zwei politischen Blöcken erst einmal wieder zurechtfinden.

Die hochdekorierten deutschen Soldaten waren zwar den Kommunisten ein Dorn im Auge. „Doch dies hielt die DDR nicht davon ab, acht Ritterkreuzträger wie Oberst Walter Lehweß-Litzmann die NVA und die Interflug aufbauen zu lassen“, sagt Hild und zählt weiter auf: „Ebensowenig das zweite Österreichische Bundesheer, das von 43 Ritterkreuzträgern neu organisiert wurde. Darüber hinaus waren jeweils zwei Ritterkreuzträger in den Nachkriegsarmeen Spaniens, Finnlands und Rumäniens, einer in Ungarn. Die Flieger Oberst Rudel und General Adolf Galland gingen nach Südamerika und leisteten dort als Berater Aufbauhilfe in den Armeen.“ Mindestens 803 Ritterkreuzträger bauten die Bundeswehr, 17 Ritterkreuzträger den Bundesgrenzschutz auf. „Das lag daran, daß die Politik die Bedrohung im Osten sah“, so Hild, „und was sollten denn Berufssoldaten anderes tun, viele hatten nichts anderes gelernt.“

Zu Beginn der Bundesrepublik war das Ritterkreuz noch durchaus in der Öffentlichkeit präsent. So trug nicht nur Vizekanzler Major Erich Mende zum Empfang des persischen Schahs das Ritterkreuz. Am 30. April 1957 berichtete der Spiegel über den General der Wehrmacht und der Bundeswehr, den Präsidenten der OdR: „Horst Niemack, 48, Turnierreiter und Generalmajor außer Diensten; trug das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes mit Eichenlaub und Schwertern am schwarzweißroten Halsband, als er am letzten Mittwoch in Warendorf dem Olympia-Reiter Hans Günter Winkler, 30, zur Eheschließung mit der Reiterin Inge Fellgiebel gratulierte.“ Die Braut war die Nichte von Major Walther-Peer Fellgiebel. Und der eine Schlüsselfigur der Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger e.V (OdR) und seit 1961 in dessen Vorstand. 

„Also, die Ordensgemeinschaft war seit 1954 eine rein westdeutsche Angelegenheit“, sagt Hild. „Wiedergegründet wurde sie zur ‘Pflege und Förderung der Tradition echten Soldatentums’ in Köln von Generaloberst Alfred Keller, Träger des Pour le Mérite und des Ritterkreuzes als Vereinigung hochdekorierter Frontsoldaten beider Weltkriege.“ Sie bestand aus etwa 1.000 Mitgliedern, Krieg und Gefangenschaft überlebt hatten dreimal so viele. „Allerdings hielten viele Abstand von der OdR, weil sie als Piloten, U-Boot- oder Panzerkommandanten fragten, ob ihre Mannschaft ebenfalls bei der Ordensgemeinschaft dabeisein könnte“, sagt Hild. „Diese Leute begriffen den Orden als Auszeichnung für eine gemeinschaftlich erbrachte Leistung. Da die Antwort der OdR stets ‘Nein’ lautete, traten viele nicht ein.“ Andere wiederum, so Hild, „wollten unbedingt dabeisein“. 

Herr über den Einlaß in die Ordensgemeinschaft war oben genannter Walther-Peer Fellgiebel, als Oberleutnant 1943 selbst mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. Sein Vater, General der Nachrichtentruppe im Führerhauptquartier Erich Fellgiebel, wurde als Widerstandskämpfer im Zusammenhang mit dem 20. Juli hingerichtet. Wie Generaloberst Heinrici war Fellgiebel mit einer Jüdin verheiratet. Über 24 jüdischstämmige Wehrmachtsoldaten waren Ritterkreuzträger. Walther-Peer Fellgiebel kam nach dem 20. Juli 1944 in Sippenhaft, wurde allerdings durch Fürsprache seiner Vorgesetzten entlassen und noch Anfang 1945 zum Major befördert. Er leitete von 1970 bis 1985 die Ordenskommission des Vereins und machte die oben erwähnten 7.318 Ritterkreuzträger namentlich fest, so Hild. Als Fellgiebel 2001 starb, begann der Autor und Verleger Veit Scherzer mit dem damaligen Geschäftsführer Jürgen Heinze noch einmal die Namenslisten zu untersuchen. 2005 veröffentlichten sie ein Buch, in dem wesentlich weniger Namen genannt wurden. Scherzer kam auf 7.175. Der Grund: Er zählte nur die, die den Orden rechtswirksam verliehen bekommen hatten. „Das gab einen Riesenkrach“, erinnert sich Hild. Wer nun hier allerdings glaube, daß Fellgiebel Schindluder betrieben hätte, der irre. „Sie müssen sich die Situation ab Ende 1944 vorstellen“, sagt Hild. „Oftmals gab es keine Kommunikation, Vorgesetzte waren gefallen und konnten die militärischen Leistungen nicht mehr bestätigen.“

Unabhängig von den betriebsinternen Querelen polemisierten bundesdeutsche Journalisten, allen voran der Spiegel, früh gegen die Ritterkreuzträger. Dabei wird schnell das Unvermögen kriegsunerfahrener Nachgeborener deutlich, überhaupt die Leistung zum Beispiel eines Major Heinrich Ehrler zu ermessen, der mit seinem Opfer Tausende von Zivilisten rettete. Der Ritterkreuzträger schoß am 4. April 1945 über Stendal zwei schwere amerikanische B-24 Bomber ab. Als er keine Munition mehr hatte, rammte er mit seiner Me 262 den dritten Bomber. Seine letzten Worte über Funk zu seinem Freund und Kameraden Theodor Weissenberger waren: „Theo, Heinrich hier! Habe zwei Bomber abgeschossen; Munition ist alle. Ich ramme jetzt. Auf Wiedersehen, sehen uns in Walhalla!“   

War die mediale Kritik zu Beginn der Bundesrepublik nur mit mäßigem Erfolg gekrönt, änderte sich die gesamtgesellschaftliche Haltung gegenüber den Frontsoldaten in den Jahren zusehends. 1982 folgte der Traditionserlaß der Bundeswehr. 1999 entschied Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD), daß die Bundeswehr mit sofortiger Wirkung keine dienstlichen Kontakte zur OdR mehr zu unterhalten hätte. Es folgten Umbenennungen  wie die des Jagdbombergeschwaders „Mölders“ in Neuburg an der Donau, heute Taktisches Luftwaffengeschwader 74.

Für die Politik ist das Eiserne Kreuz historisch zu belastet

Wer sich als Ritterkreuzträger bis vor ein paar Jahren noch vor die Kamera traute, wurde mit journalistischen Fragen konfrontiert, die vor Unkenntnis strotzen. Ein Beispiel ist das Rohmaterial zweier TV-Redakteure vom Interview mit Ritterkreuzträger Hugo Broch; es ist noch auf Youtube zu sehen. Leutnant Broch flog die FW 190 und Me 109. Bei 324 Feindflügen siegte er 81mal. Da sitzt nun ein fast 100jähriger Mann vor der Kamera und erklärt der Interviewerin mit einer Engelsgeduld den Ablauf eines Luftkampfes. Die Journalistin interessiert sich allerdings stärker für die Beantwortung der Frage, ob Broch wissentlich russische Kampfpilotinnen abgeschossen habe. Auch seine wiederholte Erklärung, daß das Geschlecht eines Piloten im Luftkampf nicht zu erkennen sei, scheint sie nicht zu überzeugen.

Nur der Ordnung halber: Die Bundeswehr hat seit 2008 auch einen Tapferkeitsorden. Das Ehrenkreuz für Tapferkeit der Bundeswehr stiftete Verteidigungsminister Jung. Das Eiserne Kreuz sollte es bei seiner Vergangenheit aber nicht sein. Der Spiegel zitierte  den damaligen verteidigungspolitischen Sprecher der SPD Rainer Arnold. Das Eiserne Kreuz hielt er nach dem Zweiten Weltkrieg und der Hitler-Diktatur für „historisch zu belastet“.


Herausragende Tapferkeit von 1939 bis 1945: Das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes
Ritterkreuzexperte: Historiker Peter Hild