Viele Menschen haben Angst vor unwürdigen Situationen am Lebensende. Mißstände in Pflegeheimen, medizinische Über- oder Unterversorgung, die Angst zur Last zu fallen, vor Einsamkeit, machen allzu schnell den Ruf nach Sterbehilfe laut. Intensivstationen, auf denen alte oder unheilbar kranke Menschen mit höchstem technischem Einsatz am Leben erhalten werden, gelten vielen als unmenschlich.
Die Diskussion über derartige Zustände wirft viele Fragen auf. Warum soll der Mensch nicht frei über sein Lebensende entscheiden können? Gibt es nicht ein Recht auf ein selbstbestimmtes und würdevolles Sterben? Oder muß ganz darauf verzichtet werden, weil das Leben tatsächlich heilig und unantastbar ist? Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 als Ausdruck persönlicher Autonomie ein weitreichendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben postuliert.
Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Manfred Stöhr (84) hat dazu jetzt erneut ein Buch zum Thema vorgelegt. Darin gibt der ehemalige Chefarzt am Zentralklinikum in Augsburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für klinische Neurophysiologie einen fundierten Überblick über die wichtigsten Fragen rund um Sterbehilfe und assistierten Suizid. Ausgehend von der gegenwärtigen Situation, nach der 76 Prozent der Bevölkerung den ärztlich assistierten Suizid und 58 Prozent die Sterbehilfe befürworten, tut sich an einer Revision der bestehenden Gesetzeslage wenig bis überhaupt nichts. Damit widersetzt sich die Politik dem Mehrheitsvotum der Bürger und verweigert quasi ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben, wie Stöhr feststellt.
In seinen Betrachtungen von Leben und Tod blickt der Autor weit in die Geschichte zurück und stellt fest, daß Tötungen zum Zwecke des Beendens von Leid und Beschwerlichkeiten in allen Kulturen der Menschheit Themen waren. Moralische Bewertungen spielen dabei keine besondere Rolle.
Kompetent und engagiert bezieht er Position auch zum Schutz des ungeborenen Lebens und zu Aspekten von Abtreibungen, wobei er hier die gesellschaftliche Toleranz in einem Widerspruch zu den Festlegungen des Zeitgeistes zur Sterbehilfe und dem assistierten Suizid sieht.
Konkret behandelt er alltäglich geäußerte Begründungen von Sterbewünschen, so Krankheit, Pflege, Verlust von Lebenssinn und Lebenswille. Für alle diese Begründungen gilt für Stöhr aber: „die Schutzbedürftigkeit des menschlichen Lebens endet dort, wo es als unerträglich empfunden wird, so daß der Lebenswille einem Todesverlangen weicht“. Unverzichtbar bleibt für ihn aber, daß selbstbestimmtes Sterben ausschließlich als individuelle Entscheidung akzeptabel ist.
Manfred Stöhr: Sterbehilfe und Suizid. Plädoyer für ein humanes Sterben. WÖRNERmedien WMV, Bad Schussenried 2023, broschiert, 365 Seiten, 22,80 Euro