© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/24 / 01. März 2024

Kolumne
GegenAufklärung
Karlheinz Weissmann

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat der kommunistischen Zeitung L’Humanité ein Interview gegeben, in dem er äußerte, daß weder Marine Le Pen mit dem Rassemblement National noch Eric Zemmour mit seiner Partei Reconquête in den „Verfassungsbogen“ gehören. Die Feststellung selbst ist weniger irritierend als der Ort, an dem sie plaziert wurde. Aber wahrscheinlich bereitet Macron schon den nächsten Kampf um das höchste Amt vor und sammelt vorsorglich den „republikanischen Block“ unter Einschluß der poststalinistischen Linken, um den Sieg des „nationalen Blocks“ doch noch zu verhindern.

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„Die theologischen Fundamente der evangelischen Kirche sind längst erodiert. Daß nun auch ihre moralische Erosion erbarmungslos zutage tritt, könnte sie ideell und empirisch zum Einsturz bringen. Um so mehr wäre die Erinnerung an den ausgeschlossenen Gott für die evangelische Kirche jetzt an der Zeit – gerade auch aus moralischen Gründen. Dieser Gott dürfte dann allerdings nicht nur rhetorische Deko, ein Zuckerwattegott oder ein Spender billiger Rechtfertigungsgnade, er müßte ein echtes, ernstzunehmendes Gegenüber sein. Ein Gott, angesichts dessen die uralten, längst vergessenen großen Worte des christlichen Glaubens wieder Gewicht bekämen.“ (Ralf Frisch, Professor für Systematische Theologie)

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In seinen Handreichungen für eine gendersensible Sprache empfiehlt das in Litauen ansässige European Institute for Gender Equality (EIGE) alles zu vermeiden, was ein Geschlecht – insbesondere das weibliche – zurücksetzt oder unsichtbar macht. Deshalb möge man Formulierungen wie „König und Königin“ oder „Bruder und Schwester“ ebenso vermeiden wie „Niemandsland“ – englisch „No Man’s Land“, ein im Ersten Weltkrieg geprägter Begriff für das Gebiet zwischen den feindlichen Stellungen, die keine Seite kontrolliert – oder „viril“. Dankenswerterweise stellt das EIGE eine ganze Batterie von Beispielen und Formulierungshilfen per Download zur Verfügung.

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In früheren Zeiten, als es mit der Achtsamkeit noch nicht so weit her war wie heutzutage, fiel gelegentlich die Boshaftigkeit „Ein Mann ein Wort, eine Frau ein Wörterbuch“. Ganz weit hergeholt scheint dieses Weistum aber doch nicht zu sein. Nach einer Untersuchung zur Sprechgeschwindigkeit sprechen Frauen tatsächlich schneller als Männer. Eine Differenz, die sich auf anderer Ebene zwischen den verschiedenen Sprachen findet. Wenig überraschend, daß das Französische und das Italienische „schnelle Sprachen“ sind (ungefähr acht Silben in der Sekunde), während das Deutsche und das Vietnamesische zu den „langsamen Sprachen“ zählen (ungefähr fünf Silben pro Sekunde). Das Englische rangiert irgendwo dazwischen (ungefähr 6,1 Silben pro Sekunde). Auch das Nutzen derselben Sprache kann in verschiedenem Tempo erfolgen: So sprechen Engländer deutlich rascher Englisch als Australier oder Nordamerikaner, während sie ihrerseits von den Neuseeländern überholt werden. Im Hinblick auf das Lebensalter ergibt sich, daß Kinder verhältnismäßig langsam sprechen, dann die Geschwindigkeit bis zum vierzigsten Lebensjahr zunimmt, um zuletzt wieder abzunehmen.

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„Der Deutsche fügt sich, unter allen zivilisierten Völkern am leichtesten und dauerhaftesten der Regierung, unter der er ist, und ist am meisten von Neuerungssucht und Widersetzlichkeit gegen die eingeführte Ordnung entfernt. Sein Charakter ist mit Verstand verbundenes Phlegma … Er wandert leicht aus und ist an sein Vaterland nicht leidenschaftlich gefesselt … Er hat keinen Nationalstolz; hängt gleich als Kosmopolit auch nicht an seiner Heimat. In dieser aber ist er gastfreier gegen Fremde als irgend eine Nation“ (Immanuel Kant, Der Charakter der europäischen Nationen, 1786)

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Ganz im Schatten der Erklärung der deutschen Bischöfe zur Unvereinbarkeit von Christlichkeit und AfD-Sympathie steht das Gipfeltreffen dreier Kardinäle mit den Spitzen der italienischen Freimauererei. Was beide Ereignisse miteinander verbindet, ist der Charakter der theologischen Kehre. Im ersten Fall die Verwerfung jeder Pflicht zu besonderer Hinwendung gegenüber dem eigenen Volk, die die katholische Lehre gekannt hat und die verständlich macht, warum es nach 1945 von ihrer Seite keine „Schulderklärung“ wie die der Protestanten gab und keine bereitwillige Aufgabe deutscher Rechtstitel, stattdessen das eindrucksvolle Eintreten für die Besiegten und Besetzten und besondere Seelsorge für die Vertriebenen. Im zweiten Fall geht es darum, irgendwie aus der Welt zu schaffen, daß der Heilige Stuhl in dreihundert Jahren fast sechshundert Verurteilungen der Freimaurerei ausgesprochen und die Mitgliedschaft in einer Loge als unvereinbar mit der Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde erklärt hat. Wenn jetzt der Kleriker des höchsten Ranges mit dem Meister vom Stuhl am Runden Tisch sitzt, um zu diskutieren, ob der „Große Baumeister“ und der Gott der Bibel ein und derselbe sind, ist das jedenfalls mehr als ein aggiornamento: das schmeckt nach Kapitulation.