© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/24 / 01. März 2024

Neuverschuldung für die Massenzuwanderung
Immobilienmarkt: Dresden, einst schuldenfrei durch den Komplettverkauf seiner Wohnungen, will die Privatisierung rückgängig machen
Paul Leonhard

Nein, Ingolf Roßberg bereut nichts. Der 2006 in seiner Amtszeit als Dresdner Oberbürgermeister erfolgte Totalverkauf des kommunalen Wohnungsbestands sei richtig gewesen. Und wenn die Stadt nun verzweifelt versuche, die privatisierten Wohnungen wieder zurückzukaufen, dann stehe der finanzielle Aufwand „in einem Mißverhältnis zum Effekt, den man damit im Wohnungsmarkt“ erziele, so der Ex-FDPler gegenüber der Zeit. Mit dieser Ansicht steht der 62jährige Verkehrsingenieur ziemlich allein da. 2006 wie heute. Zwar machte Dresden mit dem Verkauf von 48.000 städtischen Wohnungen an den US-Investor Fortress deutschlandweit Schlagzeilen, weil so sämtliche 714 Millionen Euro Kommunalschulden getilgt werden konnten – doch die Stadt hatte ein wichtiges Steuerungselement verloren.

Und die amerikainschen Investoren lagen goldrichtig mit ihrer internen Prognose, daß die Einwohnerzahl des einstigen „Elbflorenz“ nicht weiter schrumpfen, sondern perspektivisch stark steigen werde. Der Trend war schon ab 1999 statistisch absehbar: Damals wohnten nur 471.000 Menschen in der Landeshauptstadt, jedes Jahr stieg seither die Einwohnerzahl. Ende 2023 waren es schon 572.000 – 21,5 Prozent mehr als 1999. Die Ursache ist klar: „In Dresden leben 90.925 Menschen mit Migrationshintergrund“, freute sich die Stadtverwaltung 2022. Das waren 16 Prozent der Einwohner – 1999 waren es nur drei Prozent. Wohnraum wurde so knapp und teuer: gut für Immobilieneigentümer, schlecht für Mieter und Wohnungskäufer.

Zunehmende Angst vor einer Gefährdung des sozialen Friedens

Zwar drehen sich trotz Krise und Kostenexplosion im Bauwesen überall die Kräne, verschwinden die letzten Ruinen und Weltkriegsbrachen, es wird verdichtet, was das Zeug hält – die Mehrzahl der entstehenden Wohnungen können sich aber nur Besserverdiener leisten. Selbst Zweiraumwohnungen sind kaum unter 500.000 Euro zu haben – so die Lage einigermaßen stimmt. Meist werden die begehrten Objekte schon vor Fertigstellung verkauft. Aus Angst vor einer Gefährdung des sozialen Friedens und mit Blick auf den 2036 auslaufenden Vertrag, der der Stadtverwaltung das Recht einräumt, bis zu 10.000 der verkauften Wohnungen mit Sozialfällen zu belegen, soll nun die Option gezogen werden, die Dresden ein Erstzugriffsrecht für alle zum Verkauf stehenden Wohnungen aus ihrem früheren Bestand hat. Fortress verkaufte die Wohnungen mit Gewinn.

Der Eigentümer heißt nun – nach der Fusion von Gagfah und Deutsche Annington – Vonovia SE. Der Dax-Konzern will sich aktuell von 6.000 seiner 38.500 Dresdner Wohnungen trennen. Dresden hat im Haushaltsplan 2023/24 40 Millionen Euro für den Wohnungsrückkauf eingestellt. Für den Rückkauf von 6.000 Wohnungen reicht das nicht, nicht einmal für jene bis zu 3.000, die der Stadtrat als Zielvorgabe beschlossen hat. Das Geld soll lediglich der neu gegründeten städtischen Wohngesellschaft WiD die nötige Anschubfinanzierung geben, um kreditfinanziert Wohnungen zu erwerben und neue zu bauen. Bis 2030 soll die WiD über 5.000 kommunale Wohnungen verfügen.

Die Linke, deren Stadtratsfraktion sich 2006 im Streit über den Wohnungsverkauf zerlegte, träumt sogar von einer Zielgröße von 10.000 oder 20.000: „Wir brauchen eigentlich so viele Wohnungen in kommunaler Hand, daß wir über die moderaten Mieten dieser kommunalen Wohnungen insgesamt zu einer Deckelung der Mieten in der Stadt beitragen“, so Linken-Stadtrat Tilo Kießling. Daß der anhaltende Zuzug aus aller Welt die „Deckelung“ überhaupt erst notwendig macht, sagt er nicht. Zu einem ersten, im Dezember vom Stadtrat beschlossenen Paket gehören 1.213 Wohnungen in Dresden-Prohlis, einem „sozialen Brennpunkt“, und in der Neustadt sowie – was weitaus wichtiger ist – eine unbebaute Fläche von zwölf Hektar, auf der bis zu 1.800 Wohnungen gebaut werden sollen.

Der Kaufpreis liegt nach Angaben der Stadt bei 87,8 Millionen Euro. Dazu kommen Sanierungskosten von rund 100 Millionen Euro, die die WiD stemmen muß. Unter Zugrundelegung marktüblicher Preise werden die Kaufkosten für die 3.000 Vonovia-Wohnungen auf rund 315 Millionen Euro geschätzt. Fortress hatte seinerzeit für die 48.000 kommunalen Wohnungen zwar 1,75 Milliarden Euro bezahlt, davon waren aber nur 981 Millionen in die Stadtkasse geflossen. Die anderen Millionen flossen in die Begleichung der von der Wohnungsgesellschaft Woba angehäuften Schulden sowie in „eine saftige Beraterprovision“, wie die Bild-Zeitung damals berichtete. Den Verantwortlichen sei gar nicht klar gewesen, welches Vermögen sie verschleudert hätten, kritisierte 2006 der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen: „Gerade in Dresden werde der Wert der Immobilien in den kommenden Jahren steigen.“ Und deswegen hat Fortress einen hervorragenden Entschuldungs-„Deal“ mit Ingolf Roßberg und dem naiven Dresdner Stadtrat gemacht.

 www.wid-dresden.de/wohnen-in-dresden.html