© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/24 / 01. März 2024

Selbsterkenntnis der Woche
„Besser nichts“
Vincent Steinkohl

Ein jeder Küchenpsychologe weiß: Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Nur wer akzeptiert, ein Problem zu haben, hat die Chance, es auch zu lösen. Das erfordert Mut, denn der Mensch konfrontiert sich nicht gern mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten. Um so überraschender war deshalb der Auftritt von Bundeskanzler Olaf Scholz am vergangenen Montag bei der dpa-Chefredaktionskonferenz in Berlin. Dort stellte sich der Sozialdemokrat den unangenehmen Fragen der anwesenden Journalisten. Wer ist verantwortlich für den Tod von Alexej Nawalny? Putin. Warum wollen Sie der Ukraine keine Taurus-Marschflugkörper liefern? Weil es dafür Bundeswehrsoldaten auf ukrainischem Boden bräuchte, und das dürfe nicht passieren. Halten Sie eine Wiederwahl der Ampel für realistisch? „Ich mache mir darüber keine weiteren Gedanken.“ So weit, so erwartbar. Doch als es um König Fußball geht, wird der Kanzler unkonventionell. Was sich Bundestrainer Julian Nagelsmann von der Ampel-Regierung abschauen kann, damit die Heim-EM 2024 kein Desaster wird? Scholz: „Besser nichts.“ Die anwesenden Reporter lachen, einige klatschen sogar angesichts dieser schonungslosen Ehrlichkeit. Ob das seiner Parteifreundin, Innenministerin Nancy Faeser gefallen hat? Die hatte schließlich erst unlängst angekündigt, daß „diejenigen, die den Staat verhöhnen, es mit einem starken Staat zu tun bekommen müssen“. Vermutlich dachte sie dabei eher an Twitter-Pöbler mit russischer Flagge im Profilbild, als an ihren eigenen Chef. Der hat zwar – siehe Cum-Ex – kein gutes Gedächtnis, dafür aber Humor und die Fähigkeit zur Selbstkritik. Wenn sich DFB-Trainer Nagelsmann diese Eigenschaften aneignet, werden wir im Sommer bestimmt Europameister. Oder kommen wenigstens über die Vorrunde hinaus.