© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/24 / 01. März 2024

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Kein gleicher Maßstab angelegt
Paul Rosen

Der Schutz von Minderheiten und die Wahrung von Oppositionsrechten sind Kernelemente der Demokratie. Dazu paßt nicht, daß die Koalitionsfraktionen und die größte Oppositionsfraktion CDU/CSU in trauter Einigkeit regelmäßig Wahlvorschläge der AfD ablehnen, ihr den Zugang zu Gremien verweigern und damit die Arbeit als Opposition erschweren. Daß sich das Verhalten der Bundestagsmehrheit nicht nur gegen die rechte Seite des Hohen Hauses richtet, mußte inzwischen auch die linke Seite erfahren. 

Der zur Gruppe „Die Linke“ gehörende Abgeordnete André Hahn wurde kurzerhand aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) entfernt. Das Gremium kontrolliert die Geheimdienste Bundesnachrichtendienst, Bundesamt für Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst. Die Arbeit des PKGr ist so geheim, daß es in einem abhörsicheren Saal tagt, dessen Zugangstür nicht beschildert ist. Im Bundestag ist es ein offenes Geheimnis, daß sich der Zugang direkt neben der Kantine im Untergeschoß des Jakob-Kaiser-Hauses befindet.

Nachdem seine Fraktion sich wegen der Spaltung in Linke und Bündnis Sahra Wagenknecht aufgelöst hatte, lud die Koalition Hahn nicht mehr zu den PKGr-Sitzungen ein. Begründung: Er vertrete keine Fraktion mehr. Dabei war Hahn sogar mit absoluter Mehrheit der Bundestagsabgeordneten in das Gremium gewählt worden, und eine Fraktionszugehörigkeit ist keine Voraussetzung für die Mitgliedschaft. Doch die Wahl spielte auf einmal keine Rolle mehr. Es gab auch keine Abwahl durch das Plenum. Ein Eilantrag Hahns beim Bundesverfassungsgericht gegen seinen Ausschluß scheiterte, weil er die Verletzung seiner Rechte nicht substantiell dargelegt habe. Der Bundestag wählte inzwischen den CDU-Abgeordneten Marc Henrichmann als Ersatz für Hahn in das Gremium.

Die Argumentation der Koalition gegen Hahn zählt in einem vergleichbaren Fall nicht. Vizepräsidentin Petra Pau (ebenfalls Linke) ist genauso von einer Mehrheit des Plenums gewählt worden und gehört keiner Fraktion mehr an. Würden in diesem Fall dieselben Maßstäbe gelten wie bei Hahn, hätte Pau das Präsidium verlassen müssen. Doch die Gleichbehandlung wird zwar in allen Sonntagsreden beschworen, in der Koalition gibt es aber keinen ausgeprägten Hang dazu. Till Steffen (Grüne) wischte im Bundestag alle Argumente beiseite und sprach sich dafür aus, Pau, die „Frau mit Haltung“, im Präsidium zu lassen. Dabei heißt es in der Geschäftsordnung: „Jede Fraktion des Deutschen Bundestages ist durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten.“ Von Gruppen ist darin nicht die Rede. 

Die AfD ist im Präsidium nicht und im PKGr nicht mehr vertreten. Zuletzt hatte sich Gereon Bollmann hierfür erfolglos beworben. Eine Legislaturperiode zuvor hatte sich mit Roman Reusch noch ein AfD-Politiker in dem Kontrollgremium befunden. Aber damals ging es noch nicht darum, den Verfassungsschutz gegen die AfD in Stellung zu bringen.