Provokationen und Sticheleien prägen weiter den Alltag der Ampel-Koalition, deren möglicher Bruch im Berliner Regierungsviertel zum ständigen Gesprächsthema gehört. Doch die Spitzen von SPD, Grünen und FDP weisen Neuwahl-Spekulationen beharrlich zurück. Anhaltend schlechte Umfrageergebnisse und manche Parteineugründungen dämpfen die Neigung zu vorgezogenen Neuwahlen.
Manchmal fällt es den Koalitionären schwer, Fassung zu bewahren. Etwa in der Bundespressekonferenz, in der der Regierungs- und die Ressortsprecher dreimal wöchentlich den Journalisten Rede und Antwort stehen. Genervt reagierte Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf die Avancen, die FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der oppositionellen Union gemacht hatte. „Die muß man hinnehmen, aber man muß sie nicht ernst nehmen“, sagte des Kanzlers Sprachrohr. Im Fußball spreche man von „internationaler Härte“.
„Ich bin fest davon überzeugt, daß eine bürgerliche Koalition aus CDU, CSU und FDP in der Lage wäre, die Probleme des Landes nicht nur gemeinsam richtig zu analysieren, sondern tatsächlich auch gemeinsame Lösungen zu finden“, ätzte der FDP-General gegenüber der Ampel. Und er spottete, Unionspolitikern müsse er „nicht jedes mal die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft erklären“. Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bekam sein Fett weg. „Wir brauchen einen Wirtschaftsminister, der in der Lage ist, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Und anschließend in der Lage ist, die richtigen Schlußfolgerungen daraus zu ziehen“.
Djir-Sarais Affront ist nur ein Beispiel für das angespannte Klima in der Ampel, ausgelöst auch durch die Untergangsängste der FDP. Die Wagenknecht-Partei gilt als ernstzunehmende große Unbekannte. So ist die Stimmung in der Parteizentrale gedrückt. Die Niederlagenserie bei den Landtagswahlen sowie katastrophale Umfrageergebnisse im Bund zwischen drei und fünf Prozent sorgen für Nervosität. Und für gesteigerte Profilierungsübungen.
Neues Zerwürfnis deutet sich bereits an
Beispiel Lieferkettengesetz. Die Liberalen blockieren das EU-Leuchtturmprojekt, die Grünen sprechen von einer „Attacke auf die europapolitische Verläßlichkeit der Bundesregierung“. Beispiel Demokratiefördergesetz. SPD und Grüne drängen auf eine rasche Verabschiedung im Bundestag, die FDP sträubt sich, befürchtet eine einseitige Förderung linker Gruppierungen. Beispiel Familienpolitik. Der Finanzminister will den Kinderfreibetrag erhöhen, nicht aber das Kindergeld. SPD und Grüne sind auf Kompromißsuche. Beispiel höherer Verteidigungsetat. Lindner schlägt ein Moratorium bei den Sozialausgaben vor. „Wenn es uns gelänge, mal drei Jahre mit dem auszukommen, was wir haben, dann wäre das ein ganz großer Schritt zur Konsolidierung“. Empörung bei SPD und Grünen.
Nicht zu vergessen der Dauerstreit über eine Lockerung der Schuldenbremse. Die SPD werde „nicht zulassen, daß die Hilfe für die Ukraine gegen die Unterstützung von Arbeitnehmern, gegen die Rente, gegen die soziale Sicherung oder auch den Kampf gegen den Klimawandel ausgespielt wird“, stellte Fraktionschef Rolf Mützenich klar und setzte eine Arbeitsgruppe zur Reform der Schuldenbremse ein.
Nach dem Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), keine Taurus-Raketen in die Ukraine zu liefern, hagelte es Kritik von Grünen und FDP. Wobei die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann ihr Zerwürfnis mit Scholz seit langem kultiviert. „Fassungslos“ sei sie, denn dessen Argument, deutsche Soldaten müßten für Taurus in die Ukraine geschickt werden, sei seit langem widerlegt. „Ich finde das sehr besorgniserregend“.
Und es geht auch umgekehrt: Grün gegen Gelb und Rot. Beispiel Bezahlkarte für Asylbewerber. Trotz der Einigung der 16 Länderchefs sowie der Ampel-Regierung will die Grünen-Fraktion einer bundesgesetzlichen Regelung nicht zustimmen.
Viele kontroverse Einzelvorhaben, die überlagert werden von einem Grundsatzstreit zwischen Liberalen und Grünen. Stichwort Wirtschaftswende. Ressortchef Habeck will die Unternehmen mit einem neuen schuldenfinanzierten milliardenschweren Sondervermögen entlasten, Finanzminister Christian Lindner (FDP) nennt den Vorschlag eine „Deformierung“ der Sozialen Marktwirtschaft, will mit Steuersenkungen die Wirtschaft ankurbeln. Da paßt die von den Grünen verlangte Erhöhung des Mindestlohns von 12,41 auf deutlich über 14 Euro für 2024 nicht ins liberale Konzept. Die FDP warnt vor einer „ideologischen Festsetzung“. Grün gegen Gelb.
Aktuell deutet sich bereits ein neues Zerwürfnis an. Habeck will Kohlendioxid-Speicher auf hoher See einrichten, im Interesse der hochgesteckten Klimaziele. Die Ampel-Partner SPD und FDP stimmen zu, doch die Grünen-Fraktion legt sich quer. Grün gegen Grün.
Je näher der Wahltermin im Herbst 2025 rückt, desto streitanfälliger wird die selbsternannte Fortschrittskoalition. Einigkeit etwa bei der Regelung des Adoptions- und Sorgerechts (Regenbogenfamilien) oder beim Selbstbestimmungsgesetz (Geschlechterwechsel) betreffen Minderheiten, sind in der Öffentlichkeit allenfalls kurzfristige Aufreger-Themen. Noch nie war eine Regierung so unbeliebt wie die Ampel-Koalition. Europa-, Landtags- und Kommunalwahlen in diesem Jahr sind Schicksalswahlen für die FDP. Zum Bruch der Ampel könnte es im Sommer kommen. Wie will Lindner die Lücke von 15 Milliarden Euro im Haushalt 2025 schließen, wird gefragt. Ohne Kürzungen im Sozialetat? Für Wahlkämpfer Michael Kretschmer (CDU), Regierungschef in Sachsen, steht längst fest: „Die Ampel ist schon abgewählt“.
Lindners Vorgänger im Amt, Scholz, gibt sich gelassen angesichts der offenen Sympathiebekundungen der FDP für eine schwarz-gelbe Koalition. „Ich mache mir darüber keine weiteren Gedanken. Jeder ist für sich selbst verantwortlich und muß auch seine eigenen Perspektiven klug bedenken“. Amts-Vorvorgänger Peer Steinbrück (SPD) machte sich lustig über die Liberalen. „Wenn man selbst an der Fünf-Prozent-Hürde klebt, hat das Satire-Charakter“. Allerdings warf er „Parteifreund“ Scholz auch einen „Mangel an Führung vor“. Das Ampel-Gezerre geht weiter.