Es ist ein Paukenschlag: Mit dem früheren Frontex-Chef Fabrice Leggeri überrascht der Rassemblement National (RN) auf dem sicheren dritten Platz seiner Kandidatenliste für die Europawahl am 9. Juni. Damit bekommt Marine Le Pens Partei und ihre auf den Stopp illegaler Migration ausgerichtete Europawahlkampagne nicht nur ein markantes Gesicht, sondern zudem einen möglichen Innenminister in spe.
Der Spitzenbeamte des französischen Innenministeriums leitete die europäische Grenzschutzbehörde zwischen 2015 und 2022, bis er das Amt auf Druck der Linken im EU-Parlament sowie zahlreicher Asyl-NGOs räumen mußte. Vorrangegangen war ein Richtungsstreit zwischen Frontex und Brüssel, ob die Aufgabe der Grenzschutzagentur eher in der Wahrung der Rechte Asylsuchender oder im Grenzschutz zu sehen ist. Leggeri, unter dem Frontex bis 2027 auf eine 10.000 Mann starke bewaffnete Truppe anwachsen sollte, geriet bereits 2016 ins Visier des linken Brüsseler Establishments, als er in Sachen Grenzschutz „das Ende der Naivität“ ausrief.
Höhepunkt des Konflikts war die Durchsuchung seines Büros durch die europäische Anti-Korruptions-Behörde OLAF im Dezember 2020. Sie sollte die Verwicklung Leggeris in völkerrechtswidrige „Pushbacks“ (Zurückweisungen) illegaler Migranten an der Grenze zur Türkei erhellen. Unter anderem kam heraus, daß er die Einsetzung von vierzig Grundrechtsbeauftragten hintertrieben habe, zu der Frontex verpflichtet ist. Aber erst 2022, 18 Monate später, ließ es Emmanuel Macron zu – so die Lesart der französischen Rechten –, daß man den Frontex-Chef per Disziplinarverfahren zum Rücktritt zwang.
Brüssel sehe „die Migrationsüberflutung nicht als Problem, sondern eher als Projekt“, kritisiert Leggeri.
Leggeri, der 1968 im elsässischen Mülhausen geboren wurde und im nahen Kringersheim aufwuchs, wo sein Vater Vizebürgermeister war, absolvierte wie Macron die inzwischen aufgelöste Eliteuniversität ENA, die Kaderschmiede des französischen Regierungsbeamtentums. Bisher haben deren Absolventen allerdings einen großen Bogen um den RN gemacht. Auch deshalb ist Leggeris Schritt bemerkenswert. Zu dem beigetragen hat, daß er sich im Stich gelassen fühlt, denn obwohl seine Amtsführung in breiten Teilen des französischen Volkes großen Rückhalt genoß, war er nun plötzlich ein Paria. Verbannt auf einen subalternen Verwaltungsposten im Innenministerium, bestraft für sein Wirken zum Wohle Frankreichs, so seine Lesart. Eine Konstellation, in der die Zeit Analogien zum Fall Hans-Georg Maaßen sieht: Beiden verkannten ehemaligen Musterbeamten unterstellt man schließlich Rachegelüste, wie jene der dreizehnten Fee aus dem französisch-deutschen Märchen „Dornröschen“, die nicht zur Taufe eingeladen wurde.
Offenbar erwog Leggeri auch, den konservativen „Republikanern“ beizutreten. Dennoch wird seine Entscheidung für den RN mit den besseren Wahlchancen dort zu erklären einem „Überzeugungstäter“ wie ihm nicht gerecht, der Brüssel vorwirft, „die Migrationsüberflutung nicht als Problem, sondern eher als Projekt zu sehen“. Zudem wählten bereits 2017 bei der Präsidentschaftswahl 54 Prozent der Polizisten Le Pen, 27 Prozent Mitte-Rechts-Kandidaten und nur 9 Prozent Macron. Sie teilen offenbar das Gefühl „staatlichen Undanks“, das nun Fabrice Leggeri, so ein mit ihm gut bekannter Präfekt, in die Arme Le Pens getrieben hat.