Herr Hahne, „Das Maß ist voll“ hieß Ihr voriges Buch, eigentlich ist das doch gar nicht mehr zu steigern.
Peter Hahne: Da kennen Sie unsere Politik aber schlecht!
Da geht doch noch was?
Hahne: Leider ja. Sie haben allerdings recht, man kann es kaum glauben. Eben deshalb heißt mein neues Buch ja auch: „Ist das euer Ernst?“
Hatten Sie bei der Wahl des Titels ein bestimmtes Vorkommnis im Sinn?
Hahne: Ich habe dreißig aufschlußreiche Beispiele aus den vergangenen zwei Jahren – also seit „Das Maß ist voll“ erschienen ist – ausgewählt, die pars pro toto aufzeigen, wohin unser Land driftet.
Nämlich?
Hahne: Zu einem Zustand, der die Worte einer ehemaligen Bundeskanzlerin Wahrheit werden läßt: Wir schaffen das! Nämlich uns selbst abzuschaffen. Denn mal ehrlich, darum geht es doch seit 2015. So wie der DFB das „National“ unserer Fußballnationalmannschaft zeitweilig gestrichen hat, so will man ein Deutschland ohne „Deutsch“. Warten Sie nur ab, in diesen irren Zeiten kommt das vielleicht tatsächlich noch. Baden-Württemberg haben die Grünen ja schon in „The Land“ umbenannt.
In einer Imagekampagne, nicht aber tatsächlich.
Hahne: Klar, aber sind Sie sich sicher, daß Leute, die an eine flache Erde, Pardon, an mehr als zwei Geschlechter glauben, nicht auch einmal Deutschland in „Das Land“ umbenennen – in der egomanischen Überzeugung, der Rest der Welt werde bewundernd unserem Beispiel folgen?
Vor einigen Jahren hätte ich Ihnen geantwortet, bei Ihnen ist wohl noch Karneval!
Hahne: Aber heute nicht mehr, sehen Sie, keine Idiotie, die Sie noch für ausgeschlossen halten. Und genau deshalb brauchen wir einen „Aufstand gegen Idiotie und Ideologie“, wie ich ihn mit meinem Buch fordere!
Das zwar schon durch die Vorbestellungen ein Bestseller ist und bereits vor Erscheinen Platz eins der Amazon-Sparte Sachbuch Politik belegt. Aber zu einem Aufstand wird es so wenig führen wie Ihre früheren Bestseller.
Hahne: Ja merken Sie nicht, was im Land los ist? Wir werden immer mehr!
Inwiefern?
Hahne: Jüngst war ich etwa zur Aufzeichnung der „Kontrafunk“-Sendung „Ludgers Welt“ in Gosheim bei Tuttlingen, letzte rühmt sich als „Weltzentrum der Medizintechnik“, da die chirurgischen Instrumente hiesiger Hersteller rund um den Globus begehrt sind. Es ist einer dieser Orte in Schwaben, wo der Wohlstand quasi zu Hause ist, klassisches CDU-Land und früher Wahlkreis von Volker Kauder, der 13 Jahre lang Chef der Unions-Bundestagsfraktion war. Doch heute, sagte man mir, ist seine CDU im freien Fall: „Kein Vertrauen mehr in diese Versager“, meint mein Fahrer. Wir kommen schließlich in der „Krone“ an, wo die Sendung aufgezeichnet wird. Ein typisch deutsches Gasthaus mit Kegelbahn, Hirschgeweih, Kruzifix, und brechend voll: Obwohl Mittag kommen 450 Leute! Bevor wir beginnen, flüstert mein Gastgeber: Der da ist Millionär, der ein bekannter Handwerker, der Fabrikant etc. – lauter saturierte Leute! Sehr viele junge Menschen. Alle haben Sorge, wenn nicht Angst. Manche stehen mit ihrem Unternehmen vor dem Aus, andere davor, ins Ausland zu gehen, da die Kosten dank der Kriegs- und KlimaÂideologie einfach zu hoch sind. Man spürt die Furcht der Menschen, sie könnten verlieren, was sie sein Leben lang aufgebaut haben. Und als ich „CDU“ sagen will, komme ich nur bis „C“, da gibt’s schon Buh-Rufe.
Gosheim hat 3.700, Tuttlingen 38.000 Einwohner. Kommen Sie mal nach Berlin, da sieht es anders aus.
Hahne: Ach, Sie meinen nach „Gaza“? Danke, ich wohne dort und weiß, wie es um die Stadt bestellt ist. Aber auch in Berlin habe ich immer mehr solcher Erlebnisse. Etwa fingen die an diesem Tag nicht erst in Schwaben an, sondern schon bevor ich morgens losflog: Am Flughafen höre ich zufällig, wie der Mann neben mir mit tränenerstickter Stimme in sein Telefon sagt, er fliege nach Stuttgart, um Konkurs anzumelden. Als wir eine Stunde später dort landen, geht alles bemerkenswert schnell, unser Flug wird bevorzugt, denn, wie ich feststelle, ist Winfried Kretschmann mit an Bord. Ich kann mir nicht verkneifen, laut zu bemerken, aha, so sei das also, wenn man mit dem Ministerpräsidenten reist, und das, „wo die Grünen uns doch Inlandsflüge verbieten wollen“. Da ertönt hinter mir zorniger Protest: „Das stimmt nicht! Ich bin Mitglied der Landesregierung, und Sie lügen! Das können Sie ruhig verbreiten!“ Ein Minister, frage ich mich? Leider nannte er seinen Namen nicht, aber viele Passagiere haben das mitbekommen und etliche, wohl Geschäftsleute, sitzen abends mit mir im Flieger zurück nach Berlin. Einige sprechen mich an: „Herr Hahne, wir haben gegoogelt, es stimmt, was Sie heute morgen gesagt haben!“ Verstehen Sie? Früher hätten sie mit den Schultern gezuckt, heute beschäftigt sie das. Warum? Weil sie betroffen sind. Und nicht nur im Ländle und in Berlin, überall erlebe ich eine unglaubliche Stimmung, die dem entspricht, was Sie in Ihrer Zeitung ja schon seit Jahren schreiben! Ich halte immer wieder Vorträge und komme viel herum, ob Unternehmer, Ärzte, Polizisten oder Handwerker, die Leute haben Angst und sind frustriert. Was ich in Gosheim erlebt habe, war ein Pulverfaß! Und genauso war es, als ich davor auf Einladung der Mittelstandsinitiative Brandenburg in der Lausitz-Arena vor 2.500 Menschen gesprochen habe. Auch hier lauter Leute, denen das Wasser bis zum Hals steht und die sauer sind! Die IHK – typisch für die etablierten Verbände – hat sich von der Initiative natürlich distanziert, und die Lausitzer Rundschau bekämpft sie mit allen Mitteln, weil heute jeder, der wagt zu widersprechen, gleich rechts ist. Und trotzdem erlebt die erst 2019 gegründete Initiative einen Zustrom und zählt schon 600 Mittelständler!
Dennoch ist von Bürgeraufstand nicht viel zu sehen. Stattdessen dominieren die Straßen Demos gegen die AfD, die zudem als einzige Partei in den Umfragen gegenüber dem Januar erheblich verloren hat.
Hahne: Leicht verloren hat.
Je nach Umfrageinstitut zwischen drei und fünf Prozent – und fünf Prozent ist das Zehnfache der anderen Parteien, die nur um 0,5 Prozent schwanken.
Hahne: Aber Herr Schwarz, eben: Ein halbes Prozent! Das heißt doch, die AfD hat verloren, aber kaum an die Etablierten. Das Bündnis Sahra Wagenknecht kommt dagegen laut der jüngsten INSA-Umfrage auf acht Prozent. Das bedeutet erstens, daß die AfD-Verluste im Lager der Opposition bleiben, zweitens, daß dieses insgesamt wächst!
Sie kennen Frau Wagenknecht persönlich, ist sie wirklich oppositionell oder führt sie am Ende nur wütende Wählerstimmen wieder dem etablierten Lager zu?
Hahne: Das hoffe ich natürlich nicht. Auf jeden Fall ist sie eine äußerst intelligente, talentierte Frau und ein politischer Selbstläufer, weil es einfach einen Teil Wähler gibt, der ihren Kurs will. Ich glaube, sie meint es ehrlich, dennoch aber besteht in der Politik immer die Gefahr, daß Projekte an einem Ego scheitern. Das gleiche gilt bei Hans-Georg Maaßen, den ich ebenfalls aus meiner Zeit beim ZDF persönlich kenne und sehr schätze.
Hat die Werteunion Zukunft, zumal jetzt, wo kaum gegründet, schon schwerer Streit das Projekt erschüttert?
Hahne: Immerhin hat die Werteunion in der ersten Umfrage mit fünf Prozent mehr erzielt, als ich gedacht hätte. Dennoch steht sie vor dem Problem, daß der eine Teil ihres Wählerpotentials zwar sagt, es würde sich eine Partei wie sie wünschen, in der Wahlkabine heimlich aber doch AfD ankreuzt, und der andere Teil bis zum Wahltag der Volkskrankheit der politischen Demenz anheimfällt.
Die ein Hauptthema Ihres Buches ist.
Hahne: Genau, denn es ist doch nicht zu fassen, mit welcher Dreistigkeit die CDU/CSU, die 16 Jahre lang einen großen Teil der Mißstände heute verursacht oder zugelassen hat, sich nun als die Lösung für diese Probleme aufspielt! Das ist die Chuzpe des Brandstifters, der sich anschließend als Feuerwehrmann hervortut. Es ist die Demenz des Volkes, auf die die Union dabei zählt und gegen die ich unermüdlich anschreibe! Was auch zu meinem zweiten Hauptthema führt, nämlich dem Totalversagen der Medien, deren Aufgabe das nämlich wäre.
Versagen? Ist das bei etlichen Themen nicht Vorsatz?
Hahne: Vielfach ja, aber auch da stellt sich die Frage: Warum ist das so? Derzeit lese ich die Autobiographie des ZDF-Gründungsintendanten Karl Holzamer, der deutlich macht, wie wichtig für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Aufsichtsgremien sind. Wenn heute über dessen Linkslastigkeit geschimpft wird, muß man bedenken, daß Menschen nun mal machen, was man sie machen läßt. Etwa Böhmermann, der gerade in seiner Sendung dazu aufgefordert hat: „Nicht die Nazikeule rausholen, sondern vielleicht einmal ein paar Nazis keulen!“ Wer es nicht weiß: Keulen ist das systematische Töten oft eines gesamten Tierbestands. Große Aufregung etwa bei der CDU. Zu Recht, aber: Wer hat denn die Verträge mit ihm abgenickt? Tatsächlich schlafen die Unions-Vertreter in den Fernsehräten, statt ihre Arbeit zu machen! Eine besonders traurige Pointe ist der Fall Jessica Kordouni, die im NDR-Rundfunkrat sitzt, weil der Kieler Ministerpräsident Daniel Günther ihr dort einen Sitz der CDU überlassen hat, und die jüngst bei der „Tagesschau“ durchsetzte, daß diese noch mehr über die Demos „gegen Rechts“ berichtet. Was mich zurück zu Karl Holzamer führt, der auch schreibt, wie schwierig eine Kooperation mit dem sowjetischen Fernsehen 1970 war, weil dessen Selbstverständnis gewesen sei, positiv über die Regierung zu berichten und deren Politik zu unterstützen.
Was bedeutet?
Hahne: Na, daß wir heute auf dem Niveau der UdSSR angelangt sind! Ich habe noch gelernt, Journalismus ist, alles zu hinterfragen. Das erste, was ich von meinem ersten Intendanten gehört habe war: „Ich dulde keinen Missionsjournalismus, wenn Sie hier Meinung machen wollen, fliegen Sie raus!“ Und in der Bundespressekonferenz wurden Politiker noch richtig gegrillt! Heute ist dort die kritischste Frage etablierter Medien: „Herr Bundeskanzler, haben Sie heute nacht schlecht geschlafen?“ Der Journalismus hat sich völlig verwandelt! Er ist zum Tummelplatz vollkommen realitätsfremder Ideologen geworden, die nicht einmal mehr zum Schein so tun, als hielten sie Distanz zur Politik, sondern offen symbiotisch mit ebenso realitätsfremden Politikern in einer gemeinsamen Blase leben.
Immerhin hat jüngst die neue Moderatorin von „Berlin direkt“, Andrea Maurer, die Grünen kritisiert.
Hahne: Daß das eine Nachricht ist, sagt schon alles – und wie man dafür über sie hergefallen ist!
Daß die Grünen sich beschweren, ist allerdings ihr Recht.
Hahne: Sicher, aber ist es angemessen? Es zeigt doch, wie die Grünen denken: statt hinzunehmen, daß nicht immer nur die anderer, sondern auch mal ihre Politik im ZDF kritisiert wird, tun sie so, als sei das Majestätsbeleidigung. Ich bin kein Freund von Olaf Scholz, aber: Als er 2002 als Generalsekretär in meiner Sendung sagte, die SPD strebe nach der „Lufthoheit über den Kinderbetten“, entgegnete ich: „Wann treten Sie zurück?“ Er war wie vom Donner gerührt und sagte nichts mehr. Doch als ich ihn drei Wochen später traf, gab er
Die ehemalige MDR-Moderatorin Katrin Huß berichtet, wie sie 2016 mir freundlich die Hand. Ich hatte meinen Job gemacht, und er hat das anders als die Grünen respektiert. Und im Vergleich zu meiner Äußerung war Frau Maurers Kritik harmlos, weshalb eigentlich sämtliche Medien des Landes die Grünen in die Mangel hätten nehmen müssen, wegen ihrer unfaßbaren Arroganz, sich über eine kritische Journalistin zu beschweren!
Glauben Sie, das hat intern Folgen für Frau Maurer?
Hahne: Dazu kann ich nichts sagen. von Kollegen und Vorgesetzten so fertiggemacht wurde, daß sie abends die Notaufnahme des Krankenhauses aufsuchte. Der Vorwurf: Sie habe nicht widersprochen, als der renommierte Psychologe und Publizist Hans-Joachim Maaz in ihrer Sendung eine – sehr sanfte – Kritik an unbegrenzter Masseneinwanderung äußerte. Geht es Frau Maurer nun ähnlich?
Hahne: Ich bitte Sie um Verständnis – aber ich denke, meine Kritik, etwa in meinem Buch, auch an den Öffentlich-Rechtlichen, ist eindeutig. Und wer sich sofort öffentlich hinter Frau Maurer hätte stellen müssen, ist die Union. Aber auch da wieder einmal Fehlanzeige!
Herr Hahne, neben Ihrem neuen Buch erscheint nun in Wiederauflage Ihr älterer, ganz andersartiger Titel „Leid. Und wo bleibt Gott?“ – als Buch zur anstehenden Karwoche?
Hahne: Nein, weil Leid jeden Menschen betrifft: ob König oder Aldi-Kassiererin, gelitten werden muß. Keiner entgeht dem, und die Alternative lautet: entweder macht das Leid uns fertig oder wir werden mit dem Leid fertig. Und darum geht es in dem Buch. Denn wir Menschen versuchen, Leid möglichst zu verdrängen und sind ihm daher hilflos ausgeliefert, wenn es uns trifft. Eine große Gefahr ist, dann die nagende Frage zu stellen: Warum? Denn auf sie gibt es keine Antwort, was das Leid nur vergrößert.
Wie also umgehen mit Leid?
Hahne: Im Buch der Psalmen heißt es, niemand kann tiefer fallen als in die Hand Gottes. Je tiefer ich also falle, desto näher ist mir Gott. Und das ist es, was wir tatsächlich auch häufig beobachten: Menschen, die nie an Gott gedacht haben, als es ihnen gut ging, finden im Leid zu ihm. Das also ist der Schlüssel, Gott, der das Leid in Gestalt Jesu selbst erfahren hat, macht uns unser Leid zwar nicht erklärlicher, aber er macht es uns erträglicher.
Peter Hahne: Der 1952 in Minden geborene Diplomtheologe und ehemalige Vizechefredakteur des ZDF-Hauptstadtstudios moderierte die „heute“-Nachrichten, das „heute-journal“, „Berlin direkt“ und bis zur Pensionierung 2017 die Talkshow „Peter Hahne“. Auch als Bild am Sonntag-Kolumnist und Erfolgsautor mit Millionenauflage machte er sich einen Namen. Neben „Leid. Und wo bleibt Gott?“ ist nun sein neues Buch erschienen: „Ist das euer Ernst? Aufstand gegen Idiotie und Ideologie“