Minusgrade und Sonnenschein, Grund genug, den Weg ins Zentrum am Fluß Ryck entlang zu wählen. Genau wie die sechs jungen Menschen vor uns. Aber die bleiben plötzlich stehen, lassen ihre Rucksäcke fallen, schälen sich aus ihren Plünnen und stehen splitterfasernackt und bibbernd vor einer kleinen Treppe, die Eignern das Besteigen ihrer Segelboote erleichtert.
„Wollen Sie etwa baden?“ fragt Uli entgeistert.
„Ja“.
„Ist das eine Wette?“
„Nö, aber gut für die Gesundheit.“
Na, wenn sie meinen, denke ich nur. Heute ist Markt. Viele Händler haben ihre Stände aufgebaut. An prädestinierter Stelle sitzt ein etwa 18jähriges Mädchen auf dem kalten Asphalt, eingehüllt in einen Karton mit der Aufschrift „Habe Angst vor Gewalt, Terror und Klimaschäden“. Ihr Kumpel lehnt daneben am Laternenpfahl und zieht lässig an seiner E-Zigarette.
Die Damen sind elegant gekleidet, mit kleinen blaugelben Wimpeln an
den Handtaschen.
Mit einem Blumenstrauß bewaffnet treten wir den Rückweg an, diesmal durch die Fußgängerzone, um beim stets gut gelaunten Italiener die Tageszeitung zu kaufen. An seinen drei Stehtischen vor dem kleinen Laden herrscht wie immer Bombenstimmung. Hier wird Kaffee getrunken, geraucht, diskutiert und gefachsimpelt.
Während ich nach Kleingeld krame, höre ich hinter mir eine laut fluchende Stimme. Ein Mann mit Elektro-Lastenfahrrad ist ausgebremst worden, nach 10 Uhr ist Radfahren hier nämlich verboten.
Ein Pulk junger Damen, elegant gekleidet, sorgfältig geschminkt, die lackierten Fingernägel lässig um Kaffeebecher und Handy gekrallt, blaugelbe Wimpel an den Handtaschen, strahlen den Wüterich an, schnattern kichernd in einer fremden Sprache und weichen keinen Schritt zur Seite. Der Verkehrsrüpel ist gezwungen, sein voluminöses Gefährt zu schieben. Sieg für die Ukraine.
Vor einem Friedhofseingang spricht uns ein junger Mann an: „Egal, wem Sie die Blumen bringen wollen, derjenige hat nichts mehr davon. Aber mir würden Sie mit dem Strauß helfen. Ich könnte ihn verkaufen und mir eine Tasse Kaffee leisten.“
Betteln mal anders, fallen wir nicht drauf rein. Das Gebinde ziert nun unseren Wohnzimmertisch.