© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/24 / 23. Februar 2024

Zwischen Zips, Friaul und dem Elsaß
Der Wiener Ronald Schwarzer hat kurzweilige Reiseskizzen aus vom Herrscherhaus Habsburg geprägten Regionen vorgelegt
Lothar Höbelt

Ronald Schwarzer ist in Wien in eingeweihten Kreisen ein Begriff, als „Original“ und beinahe schon als eine Institution: Als „Impresario“, der in der Sala Terrena seines „Ferdinandihofs“ stimmungsvolle Barockkonzerte ebenso inszeniert wie Vorträge, die anderswo vielleicht Bedenkenträger auf den Plan rufen, vom britischen Botschafter der Brexit-Ära über den US-Paläokonservativen Paul Gottfried bis zum israelischen Militärexperten Martin van Creveld. Zwischen seinem Brotberuf als Juwelenfachmann und einem aus Interesse betriebenen Studium hat er beträchtliche geschichtliche und kunstgeschichtliche Kenntnisse angehäuft. Schwarzer ist ein passionierter Pilger, wie der Leser erfährt, doch mit einem ausgeprägten Sinn für Lebensfreude, ja ein Weltenbummler, der unlängst erst mit einer Fahrt nach Afghanistan die Gazetten in Aufregung versetzte. 

In diesem Büchlein finden sich Reiseskizzen, Berichte und Begebenheiten, die persönliche Eindrücke mit Informationen verbinden, die auch wohl bewanderten Lesern immer noch etwas Neues zu vermitteln vermögen, in einem ansprechenden und knappen Stil, der sich mit einem seiner Zitate trefflich beschreiben läßt: „Man sei nicht zu dunkel, nicht zu deutlich.“ Die Schauplätze reichen vom Castel del Monte bis zum Osttiroler Defereggental, von der „optischen Blasphemie“ in Fatima (der „größte betonierte Kirchenplatz überhaupt“), bis zur Gegenthese, dem Fresko vom „lebenden Kreuz“ an der Andreaskirche von Thörl, dem Grenzort zwischen Friaul und Kärnten. Apropos Castel del Monte und Fatima? Natürlich: Auch Portugal und das Königreich Neapel waren eine Zeitlang unter habsburgischer Herrschaft. 

Gleichsam zur Einstimmung beginnt Schwarzer mit der Kaiserkrone, und zwar der Hauskrone Rudolphs II., gedacht als persönliche Insignie des Kaisers, als einzige Krone auch, auf der ihr Träger selbst im Portrait dargestellt ist – zum Unterschied von der mittelalterlichen Reichskrone, die für Krönungen reserviert war. Einen – sit venia verbo – „roten“ Faden stellt das Faible für die Emblematik dar, vom Rost des hl. Laurenzius als Grundriß des Escorial über das viel weniger bekannte Bildprogramm der Vorauer Stiftsbibliothek bis zur Zahlensymbolik von Schloß Eggenberg bei Graz (Apropos Zahlen: Sein Eigentümer ging beinahe bankrott, als er 1673 eine kaiserliche Hochzeit auszurichten hatte ...). 

Ein anderer Schwerpunkt ist das Brauchtum, das überkommene wie das überkommerzialisierte: Man findet exquisite Bosheiten über Aussee, bis hin zu all den Hollywood-Legenden über die Rettung der Kunstschätze im Jahre 1945, die sich schon Legionen von „Aufschneidern“ zugute gehalten haben (wer weiß, was uns da im Zuge der Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024 noch alles aufgetischt wird?). Großzügiger geht Schwarzer mit dem istrianischen Seebad Abbazia um, gegründet vom Schwiegersohn eines österreichischen Finanzministers, oder mit dem Semmering, mit seiner ersten Bergbahn, deren beschleunigter Bau sich nicht zuletzt der Revolution von 1848 verdankt. Man wollte „ordentliche Beschäftigungspolitik“ betreiben, doch möglichst abseits von Wien, wo die Arbeiter als passionierte Demonstranten leicht auf dumme Gedanken kommen konnten. 

Die heutige Slowakei ist mit der Zips und dem „tadellos restaurierten“ Leutschau ebenso vertreten wie mit einem Abstecher zu den verwahrlosten „Betonburgen“ in den Vorstädten von Kaschau. Es folgt eine satirisch angehauchte Analyse der alten venezianischen Verfassung, die Isonzofront des Ersten Weltkriegs (inklusive des unvermeidlichen Rommel) und das Elsaß als eines der Stammlande der Habsburger – mit der bezeichnenden Anekdote: Zwei Museumswärter, die sich soeben auf deutsch unterhalten haben, weisen den Gast zurecht: „Man spreche hier französisch.“ – „Aber Sie ...“ – „Nein, nein, man habe bloß elsässisch gesprochen.“ Die alte Industriestadt Brünn als „österreichisches Manchester“ wird vielleicht unter ihrem Wert geschlagen; in Prag, so scheint es Schwarzer, habe man für die Österreicher nicht einmal mehr Ressentiment über – der Rezensent würde hinzusetzen: Aber trotzdem viel mehr Verständnis für Geschichte als in Wien. 

Habsburgs Lande leben immer noch im Interregnum 

Der Autor wird seinem Ruf gerecht und hält mit pointierten Formulierungen nicht hinter dem Berg. Von den Bourbonen bis zum sola scriptura bekommen so manche ihr Fett ab. Den Briten wird hie und da etwas in die Schuhe geschoben, wofür sie nichts können. Zuweilen verspürt man da einen Anflug von patriotischem Überschwang, wie er einem wahren Reaktionär nicht geziemt. Doch man schmunzelt und genießt die Lust, wider den Stachel der Political Correctness zu löcken – in einem Punkt freilich sei abschließend ein Einwand erlaubt: Das Ende der Habsburger-Monarchie mit dem Umsturz vom Herbst 1918 wird regelmäßig als Putsch charakterisiert. Mit Verlaub: Das ist ein apologetischer Euphemismus, nicht weil zart besaitete Republikaner sich da unangenehm berührt fühlen könnten, sondern ganz im Gegenteil, weil es sich eben nicht um einen Putsch handelte, sondern um das altbekannte Phänomen der bürgerlichen Feigheit. Es gab in Wien damals allenfalls eine „virtuelle“ Revolution, nämlich die Furcht vor der Revolution, die allein schon zur Kapitulation führte. Der Kaiser aber verließ sich darauf, nach dem unvermeidlichen Gegenschlag des Pendels wieder zurückzukommen. Da ergaben sich „Friktionen“ und Verzögerungen: Habsburgs Lande leben immer noch im Interregnum.

Ronald Friedrich Schwarzer: Durch Habsburgs Lande. Karolinger Verlag, Wien/ Leipzig 2023, 121 Seiten, 23 Euro