Sein Leben war ein langes Unglück“, kommentiert einer der wenigen Nachrufer die nur von mäßigem Erfolg begünstigte Karriere des im Mai 1840 verstorbenen Dresdner Malers und Akademieprofessors Caspar David Friedrich. Diese deprimierende Bilanz trifft in voller Wucht nicht auf alle Lebensphasen zu, die Friedrich in 66 Jahren durchlief, aber für sein letztes Jahrzehnt gilt sie ohne Abstriche. Es war für den beim Publikum nicht mehr gefragten Künstler von materieller Not, von physischem und psychischem Leid geprägt.
Beschleunigt hatte sich der Abstieg schon 1825, als Friedrich nicht wie erhofft die gut dotierte Stelle eines Leiters der Landschaftsklasse an der Kunstakademie bekam. In der ablehnenden Begründung schlug sich das geballte Ressentiment gegen den notorischen Außenseiter nieder. Der Bewerber, so hieß es, habe sein Ansehen mehr durch den „Drang seines inneren Genies“ als durch ein gründliches Studium erreicht, werde mit seiner „großen Vorliebe für die Darstellung düsterer und rauher Naturszenen“ oder „Genre-Malereyen, welche ähnlichen Charakter des Ungewöhnlichen und Trüben tragen“, die ihm anzuvertrauenden Schüler gewiß verderben.
Tatsächlich fiel der erratische Einspänner, der erst als Mittvierziger heiratete und eine Familie gründete, durch eine zutiefst melancholische Disposition auf, die heute wohl „rezidivierende depressive Erkrankung“ hieße. Angesichts der Familiengeschichte wäre dieser Befund kaum verwunderlich: Bereits 1780 verlor Friedrich seine Mutter, 1787 traumatisierte ihn der Unfalltod eines Bruders, der vor seinen Augen beim Schlittschuhlaufen ertrank. Ob die Fernwirkung dieses Unglücks um 1800 einen eigenen Selbstmordversuch auslöste, ist ungeklärt. Durch sein Werk beglaubigt ist hingegen sein singulärer Ruf als Maler der Vergänglichkeit. Allein das rein Faktische markiert seinen radikalen Bruch mit der „gemütlichen“ Tradition der Landschaftsmalerei, wie sie die Holländer des 17. und die Deutschen des späten 18. Jahrhunderts pflegten. Deren Leinwände zeigten nicht die erstmals von Friedrich bevorzugten menschenfeindlichen Naturpanoramen, nicht die durchsichtig hohen Abendhimmel, keine verschneiten Tannenwälder, Mondnächte, verfallenen Friedhöfe, einsame Gräber, Krähen, Nebel und Ruinen.
Friedrich durchbrach notorisch
die Wahrnehmungskonventionen
Das waren keine harmonischen Ideallandschaften im süßlichen Schäferstil der Rokoko-Malerei, sondern zivilisationsferne Szenerien, die den aufs schauerliche Meer oder schroffe Hochgebirge blickenden Betrachter mit dem Unendlichen konfrontieren, um ihn angesichts solcher „Erhabenheit“ seine Nichtigkeit empfinden zu lassen. Wie Johannes Grave in seiner soeben wieder aufgelegten Friedrich-Monographie ausführt, unterläuft der Meister in zwei extremen Kompositionen, „Der Watzmann“ und „Das Eismeer“ (beide 1823/24), sogar die seit Kant und Schiller kanonischen Regeln zur Gestaltung des Erhabenen, dessen künstlerische Darstellung letztlich die Überlegenheit des vernunftbegabten Subjekts demonstrieren soll, das sich in souveräner Distanz zur entfesselten Naturgewalt behauptet. Denn die ästhetische Illustration der Selbstermächtigung des autonomen, rationalen, naturbeherrschenden Subjekts sei mit dem pessimistischen Menschenbild des pietistischen Lutheraners Friedrich unvereinbar gewesen. Jeden Versuch, die „maßlose Natur“ zu zähmen, verdächtigte der Maler als von „übermüthigem Dünkel“ zeugende menschliche Hybris.
Eine solche Naturauffassung lag nach 1815 auch mit ihren politischen Implikationen quer zum Zeitgeist der Restaurationsepoche, wie ihn etwa Dresdner spätromantische Malerei eines Johan Christian Clausen Dahl und die ins Biedermeierliche schlagenden Interieurs eines Georg Friedrich Kersting bedienten. Während Friedrich, der die Malkunst nicht als Versöhnung mit dem Bestehenden arrangierte, mit „nordisch-germanischem Ernst“ (Kurt Karl Eberlein, 1939) notorisch Wahrnehmungskonventionen durchbrach und damit dem Diktum gehorchte: „Wodan lächelt nicht“. Darin dem schwermütigen norddeutschen Landsmann Johannes Brahms ähnelnd, dem man nachsagte, „Das Grab ist meine Freude“ anzustimmen, wenn er mal lustig sein wollte.
Friedrich zelebrierte sein Nicht-Einverstandensein, ohne in seinen Bildern politische Veränderungsperspektiven zu eröffnen. Wo er sie unter dem Druck der Restauration andeutet, wie in „Huttens Grab“ (1823/24), verweisen die Motive resignativ zurück zu den Befreiungskriegen, als der preußische König und andere Monarchen nicht gehaltene Versprechen abgaben, den Kampf ihrer Völker gegen Napoleon mit Verfassungsgeschenken zu belohnen. War dieser politische Weg in eine bessere Welt verbaut, blieb nur der hochspekulative Trost einer überkonfessionell erneuerten christlichen Religion. Diese suggurierten bei Friedrich aber, anders als bei den Dresdner Kollegen, keine falsche Glaubenssicherheit und keine Rückgewinnung kirchlicher Frömmigkeit. Für einen „Zauber der Stille“-Kitsch, wie ihn der Publizist Florian Illies zum 250. Geburtstag auf den Markt wirft, eignete sich die „kosmische Tragik“ (Georg Simmel) spiegelnde Kunst Friedrichs also noch nie.
Die Weigerung, sich der biedermeierlichen Restauration anzupassen, bezahlte Friedrich mit künstlerisch-sozialer Isolation. Bereits zu Lebzeiten verschwand er daher aus dem kollektiven Gedächtnis. Folglich erwähnen ihn kunsthistorische Standardwerke des 19. Jahrhunderts entweder marginal oder gar nicht. Auf seine spektakuläre Wiederentdeckung mußte Friedrich bis 1906 warten, als die Berliner Jahrhundertausstellung zur deutschen Kunst von 1775 bis 1875 ihn ins Zentrum „echter nationaler deutscher Kunst“ rückte, um sein Œuvre gegen die materialistische Talmikultur der Gründerzeit zu setzen, die von den Globalisierungsgewinnern des neuen Reiches, Adel und Großbürgertum, getragen wurde.
Den Fortschrittsenthusiasmus der Nachkriegsgesellschaft dämpfen
Diese Rehabilitierung war primär das Resultat eines auf vielen Gesellschaftsebenen ausgefochtenen Interessenkonflikts zwischen der Oberschicht und dem Mittel- und Kleinbürgertum, das auf die tiefgreifende Kommerzialisierung aller Daseinsbereiche mit konservativer Modernekritik, Lebensreformideen, Heimatbewegung und mit der Flucht in eine romantisierte Natur reagierte, die jeder „Nützlichkeit“ entzogene, vermeintliche „Ewigkeitswerte“ zu bergen schien. Daran knüpften jedoch weder die Kulturpolitik noch die Kunsthistoriker der Weimarer Republik an. Friedrich drohte abermals in der Versenkung zu verschwinden, bis zünftige Außenseiter wie Kurt Karl Eberlein sein Werk unter NS-Vorzeichen als authentische Seelensprache „nordisch-deutschen Wesens“ vereinnahmten. Trotzdem blieb eine Friedrich-Renaissance unterm Hakenkreuz aus. Ließen sich doch die bereits Umweltzerstörungen im aufstrebenden Industriestaat Sachsen dokumentierenden Landschaftsbilder Friedrichs als frühe Anklagen gegen die planwirtschaftlich perfektionierte NS-Agrarpolitik lesen. Zudem waren seine gotischen Ruinen und offenen Gräber, seine christlichen Memento-Mori-Appelle und Evokationen melancholischer Empfindungen mit dem heroischen Gefallenenkult und dem Kraft-durch-Freude-Optimismus des Regimes nicht kompatibel.
Ein neues Kapitel der Rezeptionsgeschichte wurde 1974 mit den Jubiläumsausstellungen in Dresden und Hamburg aufgeschlagen. Vor allem die Ausstrahlung der westdeutschen Schau verwandelte den bis dahin fast nur im nationalen Rahmen präsenten Romantiker sukzessive in einen Stern erster Ordnung des internationalen Kunst- und Kulturbetriebs. Aber auch in der alten Bundesrepublik erlebte der Meister eine bis heute nicht mehr eingebrochene Konjunktur. Ein gewaltiger Schub ging 1974 von den „Grenzen des Wachstums“ aus, die ein Report des Club of Rome nicht nur westlichen Industriestaaten gerade abgesteckt hatte. Die „Ölkrise“, die sich formierende Anti-Atomkraft-Bewegung und die neu entstandene Partei der Grünen taten in den 1970ern ein Übriges, um den Fortschrittsenthusiasmus der Nachkriegsgesellschaft zu dämpfen. Einmal mehr begünstigte dies die Rückbesinnung auf jene romantische Opposition, die sich an der Wiege der kapitalistisch organisierten Frühindustrialisierung formiert hatte. Nicht zufällig war noch die auf Aktualität pochende Hamburger Friedrich-Schau dieses Winters bemüht, die gemalte Naturphilosophie des pommerschen Romantikers mit der „Klimakrise“ kurzzuschließen.