© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/24 / 23. Februar 2024

Die Kleine Eiszeit und der große Katzen-Exorzismus
Abwehrzauber unterm Dach
(dg)

Bei Sanierungsarbeiten im Dachgeschoß seines Familienhauses im Bayerischen Wald fand Hermann Parzinger, Prähistoriker und Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Teile einer mumifizierten Katze. Eine C14-Datierung dieser Relikte führte ins Jahr 1486 und wies das Tier als Zeitgenossen Martin Luthers (1483–1546) aus. Der Fund war kein Einzelfall, denn in den letzten Jahren wurden im Zuge der Restaurierung historischer Altbauten in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz vermehrt mumifizierte Katzen entdeckt. Die Häufung solcher Mumienfunde, die eine lange transkulturelle Geschichte haben,  geht auf den „großen Katzen-Exorzismus“ in der vom 14. bis zum frühen 19. Jahrhundert währenden Kleinen Eiszeit zurück. Die setzte zwischen 1315 und 1321 mit der größten gesamteuropäischen Hungerkatastrophe des letzten Jahrtausends ein, der Millionen Menschen zum Opfer fielen. Quellen darüber lesen sich wie Horrorgeschichten. Für alles Leiden verantwortlich gemacht wurden als „Hexen“ stigmatisierte Frauen, von denen man bis ins 18. Jahrhundert hinein Zehntausende bei lebendigem Leib verbrannte. Waren Frauen nicht greifbar, traten als Ersatzhexen tote Katzen an ihre Stelle, die unterm Dach plaziert wurden, um für die Zukunft Hunger, Krankheit und jegliches Unglück vom Haus und dessen Bewohnern abzuwehren. Wie die neuere volkskundliche Forschung erwiesen habe, gehe die verwobene Dämonisierung von Katzen mit Hexen oder dem Teufel auf eine sehr alte Tradition zurück. So sei über Jahrhunderte hinweg an der Legende gestrickt worden, daß Katzen Träger allen Unheils sind (Zeitschrift für Ideengeschichte,1/2024).  


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